Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Gottfried Körner

Jena, den 4. Sept. [Donnerstag] 94.

Hier die unglückselige Oper, die ich neulich beizulegen vergaß, und die Recension von Matthisson, die einige bedeutende ästhetische Erörterungen enthält, worüber ich Deine Meinung zu hören sehr begierig bin. Eigentlich hätte ich diese Ideen noch lange zurückbehalten sollen, bis das vollendete Ganze ihnen einen Halt geben kann; aber was man in einer Zeitung und auf dem Katheder sagt, ist immer ein öffentliches Geheimniß, und wo man gewisse Sachen nicht sucht, findet man sie auch nicht. Ich schreibe nunmehr an meiner Abhandlung über das Naive, und werde zugleich an den Plan zum Wallenstein denken. Vor dieser Arbeit ist mir ordentlich angst und bange, denn ich glaube mit jedem Tag mehr zu finden, daß ich eigentlich nichts weniger vorstellen kann als einen Dichter, und daß höchstens da, wo ich philosophiren will, der poetische Geist mich überrascht. Was soll ich thun? Ich wage an diese Unternehmung 7 und 8 Monate von meinem Leben, das ich Ursache habe, sehr zu Rath zu halten, und setze mich der Gefahr aus, ein verunglücktes Product zu erzeugen. Was ich je im Dramatischen zur Welt gebracht, ist nicht sehr geschickt mir Muth zu machen, und ein Machwerk wie der Carlos ekelte mich nunmehr an, wie sehr gern ich es auch jener Epoche meines Geistes zu verzeihen geneigt bin. Im eigentlichsten Sinne des Worts betrete ich eine mir ganz unbekannte, wenigstens unversuchte Bahn, denn im Poetischen habe ich seit 3, 4 Jahren einen völlig neuen Menschen angezogen. Ich wollte, daß Du Dir ein Geschäft daraus machtest, mich zu wägen und mir meine Abfertigung zu schreiben. Sei so streng gegen mich, wie gegen Deinen Feind, wie gegen Dich selbst, wenn Du die Feder in die Hand nimmst. Ich will Dir buchstäblich folgen. 

               Dein 

Sch.


Bemerkungen

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S. 6. Z. 30. Füge hinzu: Lebe wohl und sage den Frauen herzliche Grüße.
MDM. Zu S. 6. Z. 3. Ich weiß nicht, welche Oper gemeint ist. Zu Z. 10. Der Ausdruck nicht ganz klar. Sch. meint doch wohl, hätte er die Gedanken in einem Zeitschriftartikel oder auf dem Katheder veröffentlicht, so würden sie wenig Beachtung gefunden haben, weil sie dort nicht würden gesucht worden sein. Jetzt in der Rezension gleich nach Erscheinen der Matthissonschen Gedichte würden sie mehr beachtet werden.