Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Wilhelm Reinwald. 

Stuttgardt d. 24. April [Donnerstag] 94. 

Am letzten dieses Monats gedenken wir, wenn kein Hinderniß dazwischen kommt, unsre Rückreise anzutreten, und dann hoffe ich, Dich, liebster Bruder, mit meiner Christophine bey gutem Wohlseyn etwa den 4ten oder 5ten May zu umarmen. Wir verlaßen die lieben Eltern gottlob bey guter Gesundheit, die mich hoffen läßt, daß wir einander wiedersehen werden; indeßen wird mir doch der Abschied herzlich schwer werden, da doch niemand für die Zukunft stehen kann. Der liebe gute Papa hat große Lust, uns künftiges Jahr in Meinungen und Jena zu besuchen. Seine Geschäfte erlauben es jetzt, und wenn seine Gesundheit es zuläßt, so wird er dieses Vorhaben gewiß ausführen. Diese Aussicht erleichtert mir einigermaßen unsre Trennung, und über der Hofnung verschmerze ich vielleicht das Bittre des Augenblicks. Unser Auffenthalt im Lande ist schnell vorüber gerauscht, und wir haben einander nicht so oft genießen können, als wir wünschten, weil der liebe Vater manche Wochen lang, eines Rhevmatism wegen, der ihn noch nicht ganz verlaßen hat, das Zimmer hat hüten müßen, und ich, meines alten Uebels wegen, so wenig Reisen machen konnte. Die liebe Mama und Louise haben oft an ihren Augen gelitten, und unsre gute Nanette hat in diesem Frühjahr auch eine sehr zweideutige Gesundheit gehabt, die uns wirklich schon bange machte, jetzt aber sich zusehends auf den Gebrauch des Brunnens verbeßert. Mit meiner Gesundheit bin ich im Ganzen wohl zufrieden, besonders seit dem Frühjahr, welches sich gar erträglich anläßt. Das Wetter ist aber auch ganz ohne Beyspiel schön und heiter, und seit Menschengedenken erinnert man sich keines so frühen und so hofnungsvollen Jahrs. Schade daß die Existenz unsrer lieben Eltern auf der Solitude durch die Aufhebung der Solitüder Gärtnerey so ungewiß geworden ist. Der Papa weiß noch gar nicht, ob er bleiben wird, welches indeßen doch das wahrscheinlichste ist. Verlust seines Einkommens hat er zwar gar nicht zu fürchten, aber den Verlust seines Wirkungskreises kann er kaum verschmerzen. Ueber dieß alles mündlich das Mehrere. 

Ueber euren kleinen Neveu werdet ihr große Freude haben, denn er ist wirklich allerliebst, und hat sich jezt seit 4 Monaten bey ununterbrochenem Wohlseyn befunden. Gott gebe, daß er die weite Reise gut vertragen möge, und auch uns nicht zu sehr mit Unruhe plage. 

Du wirst so gut seyn, liebster Bruder, und die Einlage durch einen Expressen an Frau von Kalb besorgen. 

Alles übrige bleibe auf unsere Zusammenkunft verspart, der ich mit ungeduldiger Sehnsucht entgegen sehe. Ich und meine Lotte umarmen euch herzlich und von der Solitüde sagt euch alles die zärtlichsten Grüße 

               Dein treuer Bruder 

FrSchiller. 

Weil meine und meines Karls Umstände so leicht einen Aufschub der Reise veranlaßen können, so richtet euch ja nicht auf uns ein. Wir werden, wenn ihr uns haben wollt, bey euch logieren, damit wir uns länger genießen können, sonst aber bitten wir euch, ja keine Anstalten zu machen. 

[Adresse:] 
                        An 
   Herrn Rath und Bibliothecar 
                   Reinwald 
frey                                 in 
                                                Sachsen-Meinungen.


Bemerkungen

1 Zu S. 435. Der Abschied war auf immer. Schiller hat die Eltern und die Stuttgarter Schwestern nie wiedergesehen. Reinwalds besuchten ihn noch in den Jahren 1799 und 1804.
2 Zu S. 436. Z. 19. Die Abreise verzögerte sich bis zum 6. Mai.