Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Bartholomäus Fischenich

Jena den 11. Februar [Montag] 1793.

Sie haben uns durch Ihren Brief aus einer großen Unruhe und Ungewißheit gerissen, liebster Freund, in die Ihr langes Stillschweigen uns versetzt hatte. Keinen von allen den Briefen, deren Sie erwähnen, haben wir erhalten. Ein Brief von Frankfurt war das Einzige, was von Ihnen in unsere Hände kam. Ich konnte mich um so weniger entschließen, Ihnen aufs Gerathewohl zu schreiben, weil auch Göritz uns nichts von Ihnen zu sagen wußte, und es also mehr als wahrscheinlich war, daß die Briefe unsicher gingen. Mag es indessen seyn! Es ist nur gut, daß ich endlich doch weiß, daß Sie leben, daß Sie thätig und zufrieden sind. Ihre glückliche Eröffnung der Vorlesungen und die gute Aufnahme der Kantischen Philosophie bei Lehrern und Lernenden freut mich gar sehr. Bei der studirenden Jugend wundert es mich übrigens nicht sehr; denn diese Philosophie hat keine anderen Gegner zu fürchten, als Vorurtheile, die in jungen Köpfen doch nicht zu besorgen sind. Offenbar spricht dieser Umstand sehr für die Wahrheit derselben. 

Ich kann mir denken, wie viel Freude es Ihnen machen muß, Ihre Ideen auszustreuen, und auch schnell aufkeimen und gedeihen zu sehen. Bei der Bestrebung, sie Andern klar zu machen, werden Sie die schwersten Begriffe simplificiren, und eben dadurch auf neue Beweise und Ableitungen derselben geführt werden. Ich bin sehr begierig, Ihre Antrittsrede zu lesen; auch von dem Eindruck, den sie machte, möchte ich gern recht viel von Ihnen hören. Die völlige Neuheit Ihres Evangeliums in Bonn muß sehr begeisternd für Sie seyn. Hier hört man auf allen Straßen Form und Stoff erschallen, man kann fast nichts Neues mehr auf dem Katheder sagen, als wenn man sich vornimmt, nicht Kantisch zu seyn. 

So schwer dieses unser einem ist, so habe ich es doch wirklich versucht. Meine Vorlesungen über Aesthetik haben mich ziemlich tief in diese verwickelte Materie hineingeführt, und mich genöthigt, mit Kants Theorie so genau bekannt zu werden, als man es seyn muß, um nicht mehr bloß Nachbeter zu seyn. Wirklich bin ich auf dem Weg, ihn durch die That zu widerlegen, und seine Behauptung, daß kein objektives Prinzip des Geschmackes möglich sei, dadurch anzugreifen, daß ich ein solches aufstelle. Ich bin, seitdem Sie weg sind, der Philosophie sehr treu geblieben, ja weil alle anderen Zerstreuungen durch schriftstellerische Arbeiten aufgehört haben, so habe ich mich der Theorie des Geschmackes ausschließend gewidmet. Ich habe Kant studirt und die wichtigsten anderen Aesthetiker noch dazu gelesen. Dieses anhaltende Studium hat mich auf einige wichtige Resultate geführt, von denen ich hoffe, daß sie die Probe der Kritik aushalten werden. Anfangs wollte ich meine neuen Ideen über das Schöne in einem philosophischen Gespräch herausgeben; da aber indessen meine Plane sich erweitert haben, so will ich mir mehr Zeit dazu nehmen, und meine Ideen völlig aufkeimen lassen. Ist etwas davon in Ordnung gebracht, so sollen Sie es lesen und beurtheilen. 

Schmidt, höre ich, wird auf Ostern hier angestellt; Döderleins Stelle ist auch noch nicht besetzt, ich weiß aber nicht, wer sie bekommen soll. Für meinen Umgang habe ich an einem neuen Landsmann, M. Gros, der bei dem Prinzen von Würtemberg Hofmeister gewesen ist, eine sehr gute Eroberung gemacht. Es ist ein sehr heller Kopf, der besonders in der Kantischen Philosophie vortefflich zu Hause ist, voll Geist und einer scharfen Beurtheilungskraft. Von den hiesigen Schwaben, Paulus selbst mit eingeschlossen, kommt ihm an Capacität keiner gleich. Von Reinhold hält er nicht viel, besucht auch seine Collegia nicht. Er studirt die Jurisprudenz und wird im nächsten Winter nach Göttingen abgehen. Mit meiner Gesundheit ist es noch immer das Alte, weder besser noch schlimmer. Indessen habe ich mir doch Glück zu wünschen, daß meine Fieberperiode, wie es scheint, doch glücklich vorbeigegangen ist. Thätigkeit söhnt mich mit der traurigen Existenz aus, wozu mein kranker Körper mich verurtheilt. An unserm Zirkel hat sich nicht viel verändert, außer daß Gros ihn vermehrt hat. Im Frühjahr ziehen wir in einen Garten, wo dann auch die übrige Tischgesellschaft ganz aufgehoben wird. Ich werde dafür an meiner zweiten Schwester, die ich kommen lasse, eine Vermehrung der Gesellschaft erhalten. Ich vermisse es oft mit Leidwesen, daß der schöne Name Bonn nicht mehr in meinem Zimmer erschallt. 

Der Krieg in Ihrer Nachbarschaft macht mir bange für Ihre Ruhe und noch mehr für Ihre Gesundheit. Könnten Sie doch, wenn es so bunt durch einander geht, sich aus dem Gewühl losmachen, und zu uns kommen; denn dieses Kriegselend hebt alle Möglichkeit auf, daß wir Sie besuchen. 

Meine Frau wird Ihnen selbst schreiben. Auch Göritz hat versprochen, etwas beizulegen. Meine Schwägerin, die jetzt hier ist, empfiehlt sich Ihrem Andenken. Lassen Sie uns ja bald wieder einige Worte von sich hören und vergessen Sie nicht 

Ihren Sie ewig liebenden Freund 

Schiller.


Bemerkungen

1 Zu S. 251. Z. 22. Der Brief aus Frankfurt vom 13. Oktober ist abgedruckt in a.
2 Zu S. 252. Z. 11. Fischenichs Antrittsrede suchte das damalige Interesse des Naturrechts zu zeigen. Vgl. Z.
3 Zu S. 253. Z. 3. Carl Christian Erhard Schmid wurde 1793 von Gießen nach Jena berufen. 
4 Zu Z. 8. Über Gros vgl. zu Nr. 635. Hennes, Fischenich u. Charl. v. Schiller. S. 23. citiert aus einem Brief von Gros an Schiller vom 3. Dez. 1793 die Stelle: „Meine Abreise nach Göttingen habe ich auf Ostern verschoben. Ich habe mich à corps perdu in die Juristerei geworfen, und der Philosophie, welche mich bisher zu so mancher Untreue an der liebenswürdigen Göttin Themis verleitet hatte, ganz den Abschied gegeben.“ Ein Brief von ihm an Schiller und ebenso fünf Briefe Fischenichs an Schiller wurden in der Börnerschen Auktion Leipzig d. 9. Dez. 1885 ausgeboten. 
5 Zu Z. 23. Zu dem Garten vgl. Litzmann, Schiller in Jena. S. 103. 
6 Zu Z. 26. Fischenich stammte aus Bonn. 
7 Zu Z. 33. Über Göritz vgl. zu Nr. 594.