Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Gottfried Körner. 

Jena, 3. März [Donnerstag] 1791.

Meinen Brief wirst Du nun haben, der Dich mit meiner ganzen Krankheit bekannt macht. Ich befinde mich bis auf die Empfindung auf der Brust immer noch wohl. Dem Herzog habe ich gestern wegen der Vacanz auf dem Sommer geschrieben, um die Formalitäten zu beobachten, denn nöthig hätte ich es just nicht, wenn ich nicht mit ihm auf einem guten Fuß zu bleiben wünschte. In Weimar habe ich durch die Bürgerische Recension viel Redens von mir gemacht; in allen Cirkeln las man sie vor, und es war guter Ton, sie vortrefflich zu finden, nachdem Goethe öffentlich erklärt hatte, er wünschte Verfasser davon zu seyn. Das Komische dabei ist, daß von so viel Weisen keiner errieth, von wem sie war. 

Ich danke Dir, daß Du mich auf die Reisen des Herrn Benjowsky aufmerksam gemacht hast. So interessant als der erste Theil derselben ist, habe ich lange nichts gelesen. Unendlich mehr Vergnügen gewährte mir dieser Benjowsky als die so ausposaunten Reisen Thümmels ins südliche Frankreich. Leichten Ton haben sie, aber sind übrigens flach, oft seicht und verrathen nicht eben viel Geist. Ich habe etwas Besseres erwartet. 

Eine Recension der Klingerischen Stücke von Huber in der A. L. Z.1 kennst Du vielleicht schon. Sie hat viel Gutes und erregte in mir den Wunsch, daß er oft solche Schriften beurtheilte. 

Du erräthst wohl nicht, was ich jetzt lese und studire? Nichts schlechteres als Kant. Seine Kritik der Urtheilskraft, die ich mir selbst angeschafft habe, reißt mich hin durch ihren lichtvollen geistreichen Inhalt und hat mir das größte Verlangen beigebracht, mich nach und nach in seine Philosophie hineinzuarbeiten. Bei meiner wenigen Bekanntschaft mit philosophischen Systemen würde mir die Kritik der Vernunft und selbst einige Reinhold-Schriften für jetzt noch zu schwer seyn und zuviel Zeit wegnehmen. Weil ich aber über Aesthetik schon selbst viel gedacht habe und empirisch noch mehr darin bewandert bin, so komme ich in der Kritik der Urtheilskraft weit leichter fort und lerne gelegentlich viel Kantische Vorstellungen kennen, weil er sich in diesem Werke darauf bezieht und viele Ideen aus der Kritik der Vernunft in der Kritik der Urtheilskraft anwendet. Kurz ich ahnde, daß Kant für mich kein so unübersteiglicher Berg ist, und ich werde mich gewiß noch genauer mit ihm einlassen. Da ich künftigen Winter Aesthetik vortragen werde, so giebt mir dieses Gelegenheit, einige Zeit auf Philosophie überhaupt zu verwenden. 

Mit meinem Portrait mögt Ihr es halten, wie Ihr wollt, wenn ich nur mit Herrn Dyk nichts zu thun bekomme2. Ich wünschte freilich, daß es keine Fratze würde, und dies, denke ich, könntest Du verhindern, wenn Du es vorher, ehe man es abdruckt, zu Gesichte bekommst. Aus einem größeren Blatt, das Herr Schulze nach Graffs Gemählde will stechen lassen, dürfte wohl nichts werden. Lips, der gegenwärtig ein großes Blatt von Goethens Bild in Arbeit hat und sich darauf an Wieland und Herdern ebenso machen will, möchte auch mein Bild stechen, wovon natürlicher Weise etwas mehr zu erwarten ist, als von einem Bilde, das Schulze stechen lassen will. 

Lebe wohl und grüße mir Minna und Dorchen. Meine Lotte und meine Schwägerin empfehlen sich Euch bestens. Schreibe mir bald auch wieder. 

               Dein 

S.


1 Allg. Lit. Zeitung 1791. Nr. 42 über die beiden ersten Theile von Klingers Theater; die Recension ist anonym.
2 Vor dem 44. Bande der Neuen Bibl. der schönen Wissenschaften (Leipzig 1791) steht ein von M. Schreyer gestochnes, nach Dora Stocks Bilde gefertigtes Portrait; eins nach Lips ist wiederholt in Wurzbachs Schillerbuche Taf. XXIV. Nr. 4, wo auch Nr. 8 nach Graff.