Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Gottfried Körner. 

Jena, 18. Juni [Freitag] 1790. 

Wahrhaftig, ich schäme mich vor Dir, daß ich in meinem Ehestande ein so träger Correspondent werde, und mich verdrießt, daß ich gegen Dich das Ansehen haben soll, als ob ich mich verschlimmert hätte; und doch kann ich Dir betheuern, daß Du der einzige Mensch bist, an den ich überhaupt schreibe, und daß ich es alle Tage thun würde, wenn ich es nur irgend möglich machen könnte. Der dreißigjährige Krieg, den ich in Göschens Kalender mache und der in den ersten Wochen Augusts fertig seyn muß, nimmt mir jetzt alle Stunden ein, und ich kann kaum zu Athem kommen. Mein seltenes Schreiben bringt mich auch um Deine Briefe, und ich versiege so allmählig ganz. 

Sonst wäre mir sehr wohl und ich könnte mich meines Lebens recht freuen. Auch wundere ich mich selbst über den Muth, den ich bei diesen drückenden Arbeiten beibehalte; eine Wohlthat, die ich nur meiner schönen häuslichen Existenz verdanke. Ich bin täglich vierzehn Stunden, lesend oder schreibend, in Arbeit, und dennoch gehts so leidlich, wie sonst nie. 

Mit Deinem Herrn v. Funk hast Du uns gar viel Vergnügen gemacht: es wurde mir so wohl in seinem Umgang, er spricht von Dingen, die mir lieb sind mit so viel Interesse, und in seinem Wesen ist etwas Stilles und Feines, das ich über alles liebe. Ich beneide Dir ihn: solchen Umgang hat mir der Himmel hier nicht bescheert. 

Viel Glück zu der neuen Kantschen Lectüre. Hier höre ich sie zum Sattwerden preisen. Hast Du Reinholds Kantsche Briefe (die neue Auflage) gelesen und die Moralphilosophie von dem hiesigen Adjunkt Schmidt gelesen? Sie soll ganz vortrefflich seyn. 

Meine Theorie der Tragödie, der ich jede Woche einen Tag widme, macht mir noch immer viel Freude; aber langsam geht es freilich, da ich gar kein Buch dabei zu Hilfe nehme – blos Reminiscenzen und tragische Muster. 

Was ist jetzt Deine Beschäftigung und wie ist überhaupt Euer Leben? Dorchen ist wohl noch immer in Carlsbad? Meine Frau wird Dir auch schreiben. Grüße Minna schön und lebe wohl und laß bald von Dir hören. 

               Dein 

S.


Bemerkungen

1 Zu S. 83. Z. 7. Karl Wilhelm Ferdinand von Funck, geb. d. 13. Dez. 1761 zu Braunschweig, lebte damals als Premierlieutenant a. D. in Dresden, mit wissenschaftlichen Arbeiten beschäftigt. Durch Körner war er an Schiller empfohlen und besuchte diesen im Mai 1790 in Jena. Er wurde Mitarbeiter an Schillers Memoires, der Neuen Thalia, den Horen und der Jenaischen Litteraturzeitung. 1791 trat er als Rittmeister wieder in die sächsische Armee ein. In den Zeiten der Napoleonischen Kriege spielte er eine sehr bedeutende Rolle und starb am 7. August 1828, nachdem er sich im letzten Jahrzehnt seines Lebens wieder eifrig mit historischen Arbeiten beschäftigt hatte. Vgl. auch Allg. deutsche Biogr.
2 Zu Z. 16. Fielitz, Sch. u. L. II. S. 306 führt einen Auszug aus dem Kirchenbuch aus Wenigen-Jena vom 23. März 1793 an, der unterzeichnet ist M. Gottlieb Ludwig Schmid, Pfarrer und Adjunktus m. pr. Aus den Vornamen schließt er, daß der Adjunkt Schmid, der Schiller getraut, nicht identisch sein könne mit dem Verfasser des Versuchs einer Moralphilosophie Carl Christian Erhard Schmid. An unserer Stelle nennt diesen aber Schiller Adjunkt. Es bleibt die Möglichkeit, daß Carl Christian Erhard Schmid, der 1791 nach Gießen und 1793 wieder nach Jena berufen wurde, Schiller auch getraut hat, und sein Nachfolger in der Pfarrer- und Adjunktenstelle zu Wenigen-Jena eben zufällig auch Schmid hieß. Dazu stimmt, daß der Verfasser der Moralphilosophie 1793 als Diakonus und Professor nach Jena zurückberufen wurde, und Charlotte v. Schiller in ihrem Tagebuch am 22. Febr. 1806 aufschrieb: „An einem Montag den 22. Febr. 1790 wurden wir in Wenigen-Jena vom Diaconus Schmid getraut.“ (Urlichs, Charl. v. Sch. I. 59.) 
3 Zu Z. 17. Schiller hatte am 14. Mai ein Publikum über die Theorie der tragischen Kunst zu lesen begonnen. 
4 Zu Z. 22. Dorchen war mit Elise v. d. Recke nach Carlsbad gegangen. 
5 Zu Z. 23. Lottens Brief an Körner ist mir nicht bekannt.