Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Carl Georg Curtius und Karl Rechlin. 

von Hauß den 18. Jun. [Freitag] 90.

Den Beiden mir sehr schätzenswürdigen Herrn Verfassern des hier zurückfolgenden Trauerspiels bin ich für Ihr gütiges Vertrauen sehr verbunden. Das Geheimniß, welches Sie über Sich selbst beobachten, sehe ich als eine Auffoderung an, mein Urtheil über das Stück mit desto mehr Freimütigkeit zu sagen, da ich mir sonst keine Ursache angeben kann, warum so geschickte Hände sich verbergen sollten. 

Mit vielem Vergnügen habe ich das Produkt Ihres Geistes gelesen, und ich entdecke darin schon ungemein viel Fertigkeit in Ausarbeitungen dieser Art, Leichtigkeit in der Diktion und Kunst in der Anlage; Vorzüge, welche Sie ohne Zweifel durch längere Uebung, durch ein fortgesetztes Studium guter Muster, der Griechen und Shakespears, immer höher ausbilden werden. Der Stoff, den Sie gewählt haben, war mit Schwierigkeiten verknüpft, und es kann auf Rechnung desselben geschrieben werden, daß sich das Interesse nicht immer gleich bleibt, daß nicht alle Handlungen in dem Stücke gehörig motivirt, nicht alle Karaktere genug entwickelt sind. Von dem Betragen des Königs gegen Demetrius, von dem gehässigen Carakter des Didas ist nicht genug Rechenschaft gegeben, und mit schlimmen Carakteren söhnen wir uns nur dadurch aus, daß sie auf einen wichtigen Zweck arbeiten, oder aus einer hinreichend starken Leidenschaft handeln. In dem Carakter des Demetrius nähert sich die Güte zuweilen der Schlappheit und der Schwäche. Sehr interessant ist die Rolle des Appelles. Perseus verschwindet am Ende zu sehr. Philipp dringt es bey dem Leser nicht soweit Mitleid zu erwecken. 

Ich finde in dem Stück zarte und edle Gefühle, die ihren schönen Ursprung im Herzen ihrer Dichter verrathen, verschiedene einfach schöne und wahre Züge, hervorspringende Gedanken und in den Versen, mit Ausnahme mehrerer zu sehr abgebrochenen Jamben, viele Harmonie. 

Daß Sie Sich entschloßen haben, Ein Stück gemeinschaftlich auszuarbeiten, war ein gewagtes Unternehmen, aber Beaumont und Fletchers Beyspiel machte Ihnen wahrscheinlich Muth dazu und ich wünsche Ihnen Beiden Glück zu dem schönen Bande, das durch diese gemeinschaftlichen Ausarbeitungen zwischen Ihnen geflochten wird. 

Nach dem Bisherigen werde ich Ihnen wohl nicht erst sagen dürfen, wie sehr ich wünsche zwey Männer von Person zu kennen, die ich unbekannt schätze und liebe. 

Ihr ergebener Schiller.


Bemerkungen

1 Die Adressaten waren zwei Jenenser Studenten aus Lübeck, die schon auf der Schule in Lübeck ein Drama Demetrius gemeinsam auszuarbeiten begonnen hatten. Nach seiner Vollendung in Jena sandten sie es ohne Nennung ihrer Namen an Schiller. Dieser scheint den Verfassern Aussicht gemacht zu haben, das Drama wenigstens teilweise in die Thalia aufzunehmen, sandte es aber, als die Verfasser drängten, ihnen Anfang 1792 zurück. Vergl. Nr. 603. Die jungen Dichter gaben es nun anonym selbständig mit einer Widmung an Schiller, die vom 16. Julius 1792 datiert ist, heraus: DEMETRIUS. IENA IN DER AKADEMISCHEN BUCHHANDLUNG 1792. (8vo S. IV. und 120. Mit einem Titelbilde von Lips. Auf S. I. steht: Sr. Wohlgebohrnen dem Herrn Hofrath Schiller gewidmet). Schiller dankte für die Widmung am 20. August 1792. Vgl. Nr. 617. Curtius starb 87jährig am 8. Okt. 1857 als ältester Syndikus Lübecks. Rechlin, dessen Biographie der überlebende Freund später in dem Hanseatischen Magazin veröffentlicht haben soll, wurde ein poetischer und philosophischer Schriftsteller. Das Hanseatische Magazin ist mir nicht zur Hand; in der Allgem. Deutschen Biographie fehlt ein Artikel über ihn. Die Kenntnis eines Exemplars des Demetrius verdanke ich der Freundlichkeit Erich Schmidts. Den Vornamen Rechlins habe ich eingeschaltet nach dem Citat in Gödekes Grundriß 2. Aufl. V. 178: Karl Rechlin, Der Wunderbare. Lübeck und Leipzig 1797.
Zu S. 82. Z. 11. Über Schillers Kenntnis der Stücke von Beaumont und Fletcher, der Zeitgenossen Shakespeares finde ich in Gödekes Grundriß V. 228 noch citiert. Ztng. F. d. eleg. Welt 1843 S. 365: Schillers Braut v. Messina und Beaumont-Fletchers Rollo, Herzog der Normandie.