Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Lotte v. Lengefeld und Caroline v. Beulwitz. 

Sontag Nachmittag [20. December 1789]

Diese Nacht um 3 Uhr kamen wir an, und wohlbehalten. Wie viel glücklicher ist es doch mit dieser gestrigen Zusammenkunft gegangen, als ich gehofft hatte! Wir1 sahen uns doch den ganzen Abend meine lieben, und die Trennung wurde mir leichter, weil wir uns so bald wiedersehen! Mein Kopf ist von dieser Nachtreise noch etwas gedrückt, ich werde euch nicht viel schreiben können, aber in meiner Seele ist kein anderer Gedanke als an euch, und an die Aussichten zu unsrer Vereinigung. Es wird sich unendlich leichter geben, alles, als ich anfänglich hoffte. Wir werden nicht nöthig haben jemand zu täuschen, und ich werde gar nichts aufzuopfern haben. Nur auf die Antwort eurer Mutter warte ich – hab ich erst diese, und ist es zwischen ihr und uns entschieden, dass wir zusammenleben, so kann in 8 Tagen alles andre berichtigt seyn. 

Meine Gründe, ein Jahr lang von der academie dispensirt zu werden, sind so einleuchtend und billig, daß ich in einer kurzen ruhigen Unterredung einen Jeden davon überzeugen will. Es kostet auch den Herzog kein Opfer, mir darinn zu Willen zu seyn – Sobald ich es ohne Indelikateße gegen eure Mutter kann, so gehe ich zum Herzog, und erzählte ihm ohne Zurückhaltung den ganzen Plan, den ich ausgedacht habe, bald mit dir zu leben, meine Lotte, ohne ihm zur Last zu fallen. Ich überzeuge ihn ganz gewiß von der Billigkeit meines Wunsches, die Niederl. Geschichte zu endigen, und sage ihm zugleich, wie es auch die Wahrheit ist, daß ich meinen akademischen Verrichtungen nicht mit der gehörigen Musse und Ernst obliegen könne, solange dieses Werk noch unvollendet liege; daß die Beschleunigung desselben mit beträchtlichen Geldvortheilen für mich verknüpft sey, die mir durch akademische Geschäfte nicht ersetzt würden. Ich werde ihm die Beiwese vorlegen, dass ich durch die Auskunft, meine Niederl. Geschichte in R- und in Verbindung mit eurem Hause auszuarbeiten, allein in den Stand gesetzt würde, seiner Unterstützung zu entbehren, und der Nothwendigkeit überhoben zu seyn, ihn mit irgend einer Geldfoderung zu belästigen. Wenn ich ihm gestehe, daß er bey mir vor allen Geldfoderungen sicher sey, und daß mir nie einfallen würde, eine Anspruch auf eine Besoldung zu machen, biß ich durch geleistete wesentliche Dienste ein Recht darauf erhalten, und in ihm selbst der Gedanke entstehen würde, mir eine zu geben – so weiß ich gewiß, daß [ich]2 ihn dadurch sehr gut für mich einnehme. Ich bekenne ihm dann offenherzig, daß von meiner baldigen Verbindung mit Lottchen meine Glückseligkeit abhänge, und daß ich dieses und das Erste durch das nehmliche Mittel erreichen könne, Wenn ich ein Jahr in R. mit Lottchen lebe, so würde mir eben soviel dadurch erspart, als ich an Einnahme für Collegien verlöre, und ich hätte also die Zeit, welche ich sonst auf Collegien wenden müßte, für die niederl. Geschichte gewonnen. Er braucht nichts für mich zu thun, was ihm kostet; er hat nichts nöthig, als mir zu erlauben, dass ich ein Jahr lang von academischen Verrichtungen frey sey, um meine Geschichte zu beendigen. Je weniger er vermuthete, daß ich so beschieden mit s. Schatulle umgehen würde, besonders da ihm die Stein schon von Pension vorgesagt hat, desto bereitwililger wird er meine bescheidene Bitte erfüllen; und da noch dazu kommt, dass er sich für Lottchen interessirt, da er überhaupt Freude daran hat, zum Glück andrer beyzutragen, so bin ich ganz sicher, daß er mir meine Bitte auf der Stelle gewährt, und mir auch den Hofrathscarakter nicht abschlägt. 

So fällt also alles weg, was meinen Vater oder eure Mutter oder die Welt choquiren könnte. Meine Verbindung mit Jena dauert fort. 2 Jahre lang kann ich sie recht gut ausdehnen. Was kann in 2 Jahren nicht alles geschehen? Biß dahin lassen wir das Schicksal sorgen. Ich bliebe auf diesem Wege immer Herr davon, weil ich nach Jena zurück kann, wann ich will. So kann auch niemand nichts gegen meinen Aufenthalt in R. haben, weder B. noch eure Mutter. Es ist ein Besuch auf ein Jahr. Der ch. M. muß es lieb seyn, Lottchen nicht auf einmal ganz zu verlieren – u: wenn 1, 2 Jahre um sind, so soll sie auch mich, wie ich hoffe, nicht gerne verlieren. 

Du mußt also ja in Deinen Briefen an B nichts von einem Plane einfließen lassen, als ob ich in R. bleiben und Jena verlassen wolle. Du schreibst ihm bloß, wenn du ihm mein Verhältniß zu L. erzählt hast, dass ich suchen würde ein halbes Jahr, vielleicht ein ganzes Urlaub von der Academie zu bekommen, um m. N. Geschichte auszuarbeiten, und dass ich diese Zeit in R. zu leben wünschte, in seinem und deinem Umgang; auch um Lottchen ? auf einmal von dir u: deiner Mutter zu trennen. Dieß kann ihm in keinem Falle unangenehm seyn, und er kann nicht daran denken, Hinderniße in den Weg zu legen. 

Was euer Mutter des Einkommens wegen, gegen unsre Verbindung überhaupt u: besonders gegen meinen Aufenthalt in R. einwenden könnte, wird ganz dadurch gehoben. Ich behalte alle meine Aussichten, ich verliere bloß auf die Zeit die ich in R. zubringe, den Vortheil eines fixen Gehalts; aber dieser Verlust würde mir schon dadurch ersetzt werden, daß ich in 2 oder 3 Jahren, wenn ich dann erst eine Besoldung fodre, offenbar eine größre bekomme, als jetzt. Wenn ich jetzt aber einen kleinen Gehalt bekäme, so könnte ich in 2, 3 Jahren nicht schon wieder Zulage fodern. Dieß ist ein sehr wichtiger Umstand, den ihr eurer Mutter klar machen müßt. 

Ueberhaupt bitte ich euch, denkt über das nach, was ich jetzt geschrieben, ob es euch so einleuchtend ist als mir, und ob ihr etwas daran zu verbessern findet. Jezt warte ich bloß darauf, daß wir mit eurer Mutter auf einem gewissen Punkt sind, wo ich die Sache dem Herzog, als etwas das zwischen mir und eurer Mutter ausgemacht ist, vorbringen kann. Dann verliere ich aber keinen Tag, um auch die meinige mit ihm abzumachen. Nach Coburg hast Du jetzt gar nicht nöthig zu schreiben Caroline. Der Herzog ist billig; er wird einsehen, daß mir bey m. Verbindung mit L. durch den Hofrathscarackter eine Gefälligkeit geschieht, u: dass es eigentlich nöthig ist. Kann er es wegen andern ältern Räthen nicht gut thun, so schafft er mir selbst einen vom Meinungen, das bin ich gewiß. Lottchen und mir zugleich ein Vergnügen zu machen, thut er schon etwas übriges – und wie froh wird er schon deßwegen seyn, daß der Würgengel an s. Schatulle vorübergeht! 

Ich habe mehr geschrieben, als ich anfangs dachte, aber das ist ein Geschäftsbrief, wozu sich ein verwüsteter Kopf immer noch schickt. Alles warum ich euch jetzt bitte, meine liebsten, ist, daß ihr der Mutter keine Ruhe laßt, und gar keine Bedenkzeit gebt, sonst zieht sich auch meine Angelegenheit in die Länge, und die gute Stimmung des Herzogs wird nicht benutzt. Adieu Ihr liebsten. Ich küsse euch tausendmal, ich drücke euch an meine Seele. adieu adieu. 

S.


Bemerkungen

1 „wir“ meint Schiller und Paulussens. 
2 „ich“ ist durch eine Lücke im Papier ausgefallen.