Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Lotte v. Lengefeld und Caroline v. Beulwitz. 

Sontag abends 15. Nov. [1789]. 

Dißmal belohne ich mich durch einen Brief, den ich an euch schreibe meine Lieben. Es ist der eilfte Brief1, den ich heute schreibe. Ich war gerade im Train und machte fort, so lange es gieng. Es ist mir ordentlich leichter ums Herz, daß einige der Schwestern Schulden abgetragen sind. Die Herrn Butterweck2, Gustav Schillung3 und Consorten kommen aber, auch in meiner besten Stunde, nicht daran. Ich habe unter andern mehrere Briefe in mein Vaterland geschrieben. Es sind dort einige brave Männer, die meine Lehrer waren, und die noch viel vertrauen zu mir haben. Ein gewisser Profeßor der griechischen Litteratur, Nast1, bey dem ich das Griechische lernte (oder vielmehr lernen sollte) machte mir die Proposition, ob ich nicht mit ihm in Gesellschaft eine deutsche Ausgabe der Griechischen Tragiker unternehmen wolle. Meine Iphigenie scheint ihm hohe Begriffe von der Griechischen Gelehrsamkeit seines ehmaligen Schülers erwekt zu haben. Ich vermuthe, dass ihm dieses Projekt sehr am Herzen liegen mag, und ich freute mich, daß ich ihm seinen Wunsch erfüllen konnte. Zum Unglück blieb sein Brief an mich 7 Monate bey dem vergeßlichen Menschen, dem Profeßor Schütz, liegen, und vor 5 Tagen erst kam er in meine Hände. Was der gute Mann in Stuttgardt von mir denken mag! 

Ich habe euch zweymal nach einander so düstre und unruhige Briefe geschrieben. Sie waren der Ausdruck meiner damaligen Geistesstimmung, aber ich finde doch, dass sie nicht hätte fortschicken sollen. Sie machen euch unruhig meinetwegen, und ihr leidet, vielleicht in eben dem Augenblicke, wo mir leichter geworden ist. Das ist überhaupt ein übler Umstand beym Briefschreiben. Das Gemüth ändert sich oft schneller, als der Brief an Ort und Stelle kommt, und man weiß den andern in einem Irrthum, den man ihm selbst gegeben hat, ohne ihn sogleich wieder daraus reißen zu können. Bedenkt dieses einmal für allemal meine lieben, wenn ihr Briefe von mir empfangt. Glaubt keinem als dem, der heiter geschrieben ist. Schreibe ich traurig, so bin ich es längst nicht mehr, wenn ihr es leset. 

Ach! es ist nur die Erinnerung an euch, an die Seligkeit an eurem Herzen, was mich gegen alle Erscheinungen um mich her so unverträglich und vielleicht auch manchmal ungerecht macht. Ich kann den Menschen und den Dingen den tiefen Abstand nicht verzeyhen, in welchem sie zu dem himmlischen Ideal meiner Liebe stehen. Und dass sie sich doch eindrängen in unsern Kreis, uns zu ersetzen, das macht mich heftig und oft bitter gegen Menschen und Schicksal. 

Alle diese trüben Gestalten werden mir in eurem Anblick verschwinden. Euch vor meinen Augen, eures Besitzes mir bewußt, werde ich mich mit allem, was mich umgibt versöhnen, und den dürftigen Erscheinungen um uns her von der schöpferischen Glut meiner Seele Stralen und Leben borgen. 

Ich hätte nicht geglaubt, daß das Glück das eure Liebe, auch schon in fernen Ahndungen mir gewährt, in meiner Seele sich erhöhen könnte. Aber mit jedem Tage wird es reicher und unerschöpflicher – ach die Liebe ist das Einzige in der Natur, wo auch die Einbildungskraft selbst keinen Grund findet und keine Grenze sieht. Nur in euch zu leben, und ihr in mir – o das ist ein Daseyn, das uns über alle Menschen um uns her hinwegrücken wird. Unser himmlisches Leben wird ein Geheimniß für sie bleiben, auch wenn sie Zeugen davon sind. 

Du kannst fürchten, liebe Lotte, daß du mir aufhören könntest zu seyn, was du mir bist. So müßtest du aufhören mich zu lieben! Deine Liebe ist alles was du brauchst, und diese will ich dir leicht machen durch die meinige. Ach das ist eben das höchste Glück in unsrer Verbindung, daß sie auf sich selbst ruhet und in einem einfachen Kreise sich ewig um sich selbst bewegt – dass mir die Furcht nicht mehr einfällt, euch jemals weniger zu seyn, oder weniger von euch zu empfangen. Unsere Liebe braucht keiner Ängstlichkeit, keiner Wachsamkeit, – wie könnte ich mich zwischen euch beiden meines Daseyns freuen, wie könnte ich meiner eigenen Seele immer mächtig genug bleiben, wenn meine Gefühle für euch beide, für jedes von euch, nicht die süße Sicherheit hätten, daß ich dem andern nicht entziehe, was ich dem Einen bin. Frey und sicher bewegt sich meine Seele unter euch – und immer liebevoller kommt sie von Einem zu dem andern zurücke – derselbe Lichtstral – laßt mir diese stolzscheinende Vergleichung – derselbe Stern, der nur verschieden wiederscheint aus verschiedenen Spiegeln. 

Caroline ist mir näher im Alter und darum auch gleicher in der Form unsrer Gefühle und Gedanken. Sie hat mehr Empfindungen in mir zur Sprache gebracht als du meine Lotte – aber ich wünschte nicht um alles, daß dieses anders wäre, daß du anders wärest als du bist. Was Caroline vor dir voraus hat, mußt du von mir empfangen; deine Seele muß sich in meiner Liebe entfalten, und mein Geschöpf mußt du seyn, deine Blüthe muß in den Frühling meiner Liebe fallen. Hätten wir uns später gefunden, so hättest du mir diese schöne Freude weggenommen, dich für mich aufblühen zu sehen. 

Wie schön ist unser Verhältniß gestellt von dem Schicksal! Worte schildern diese zarten Beziehungen nicht, aber fein und scharf empfindet sie die Seele. 

Nur dein Schicksal, meine Caroline, ist es, was mir Unruhe macht. Ich kann dieses trübe Verhältniß noch nicht aufklären, und es wird noch verwirrter, wenn ich an meine Lage denke. Bleibe ich in Jena, so will ich mich gern ein Jahr und etwas drüber mit der Nothwendigkeit aussöhnen, daß du mit B-4 allein lebst. Von diesem Jahr kannst du die Hälfte bey uns zu bringen und die kleine Zwischenräume der Trennung machen es erträglicher. Aber mein Bleiben in Jena läßt sich nur nicht gut mit der ganzen Sache vereinigen, und ich habe es nicht einmal in der Gewalt, zu bleiben, wenn sich vortheilhaftere Aussichten für mich öfnen sollten. In Jena könnte ich es im nächsten Jahre noch nicht möglich machen, mit Lottchen zu leben, denn ich weiß, was ich vom Herzog erhalte, wenn es äuserst glücklich geht, und dieses reicht hin, denn es ist noch nicht alles mein, was ich einnehme, leider! Was noch mangelt, kann ich im nächsten Jahr noch nicht hoffen, durch vieles Collegienlesen zu ersetzen. Dieß ist erst in 2 Jahren möglich. Ich muß mir also schlechterdings durch einen beträchtlichen fixen Gehalt helfen, und eben darum arbeite ich auch jetzt so ernstlich an dieser Angelegenheit. Es wäre schrecklich, wenn das nächste Jahr, wie dieses, vorübergehen sollte. 

Und darinn ligt nun eben das schlimme. Ich muß daran arbeiten, von hier weg zu kommen, um unsre Verbindung zu beschleunigen; und wenn sich dein Verhältniß nun nicht mit gleichen Schritten entwickelte, so kämen wir auf ein ganzes Jahr auseinander. Dieß darf wieder nicht seyn. Ich weiß mir aus diesem verwirrten Verhältniß nicht zu helfen. Würde wenigstens nur bald der Ort wo ich leben soll, entschieden, so könntest du vielleicht auch deine Angelegenheit schneller zur Entscheidung bringen. 

Es war mir doch lieb, zu sehen daß die ch. M. auf die Trennung von B** schon gedacht hat. Etwas wird es ihr doch diese harte Prüfung erleichtern; ihre Drohung ist gar nicht zu fürchten. Die gute ch. M. würde dir durch die ganze Welt nachtragen, was du brauchst, wenns einmal nicht anders wäre. Wäre die Stein nicht zur Geschäftsführerinn zu brauchen, weil sie ihr doch das Vertrauen gezeigt hat? 

Die fatale Geschichte mit M-l und Carolinen5 verdrüßt mich, aber sie überrascht mich nicht. Es wollte mir gleich anfangs, als ich davon hörte, nicht recht gefallen, dieses Verhältniß. Deine Bemerkung über Carolinen ist gewiß richtig. Man kann sich in ihr irren. Ohne euch, als ein bloßer fremder Bekannte, hätte ich vielleicht auch falsch von ihr geurtheilt. Ihre unschuldigsten Empfindungen haben einen unvorsichtigen Ausdruck, und wieviel Gerechtigkeit und Bescheidenheit gehört für einen Mann dazu, nicht diejenige Auslegung davon zu machen, die seiner Eigenliebe schmeichelt? Ich weiß, wie von Männern gewöhnlich über Frauenzimmer geurtheilt wird – desto boshafter, jemehr einer Gelegenheit gehabt hat, das Geschlecht zu studiren. Ihre Zufälle – einige Entdeckungen oder Eröfnungen über ihre Geschichte – und einige Unvorsichtigkeiten gegen ihn, aus allem diesen konnte er sich etwas zusammensetzen, ohne ein schlimmer Mensch zu seyn. Ich ärgere mich nur über seine platte Indiskretion. Von mir würde er, durch eine freundschaftliche dritte Hand, ein paar Ohrfeigen erhalten. Sicherlich würde ihm dieses den Mund stopfen. Er könnte alsdann errathen, womit er sie verdient hätte, L[a] R[oche] hätte längst seinen Lousdor daran wenden sollen, denn gewiße Dinge lassen sich auf keine andere Art abthun, und diese Art konvenzioneller Sprache versteht Jeder. 

Hoffentlich wird Karoline selbst nie etwas davon erfahren, als was man sie vielleicht, aus guten Ursachen, davon wissen lassen will. 

Weil doch von schlimmen Dingen hier die Rede ist – ihr werdet wahrscheinlich auch von der Frl. Koppenfels gehört haben, daß ihre Heurath mit W. endlich zu Stande kommt, und wohl zu stande kommen muß. Zu solchen Armseligkeiten brachte man die beiden Leute, weil man haben wollte, dass sich ihre liebe nach den Umständen richten sollte. Ich glaube wirklich, es war weniger Schwachheit als Desperation. 

Schickt mir doch den H. v. Bock zurück, und gelegenheitlich auch den Tomson, der noch bey euch ligt. Den Tomson möchte ich doch gern hinauslesen, er hat mich angezogen. Vor einigen Tagen ist mir der Anacharsis von Leipzig geschickt worden, ich hätte ihn gern wieder abgestellt. Es sind 7 dicke Bände, die mir bange machen, biß sie durchgelesen sind, aber ein eigener Band ist noch dabey mit Charten und Planen, die mir lieb sind. Mit Solchen Charten in der Hand lassen sich alle Griechischen Dichter und Geschichtschreiber angenehmer und mit mehr Nutzen lesen. Ich lasse jetzt eben meinen Studenten6 etwas aus dem Anacharsis übersetzen, ich will sehen, ob ich ihm in irgend einem Journal Platz dafür schaffen kann. 

Jezt lebt wohl meine Liebsten. Ich bin weitläuftiger geworden, als ich erst wollte, aber auch unbedeutende Dinge interessiren mich, wenn ich sie euch erzähle. Diesen Brief erhaltet ihr auf den Dienstag. Einen Gruss schicke ich noch durch die Post. Meine theuersten adieu. Ich drücke euch an mein Herz und diesen Kuß bringe euch der Engel der Liebe. adieu, adieu.


Bemerkungen

1 Von den elf Briefen ist nur dieser und der Brief an Ludwig Schubart erhalten. Ein dritter war an Nast als Antwort auf seinen Brief vom 6. April 1789 (gedruckt im Brfw. zwischen Schiller u. Lotte S. 3). Die Adressaten der übrigen acht Briefe sind mir unbekannt. 
2 Boutterweck hatte schon im Jahre 1788 am 3. Mai einmal an Schiller geschrieben. (Vergl. Urlichs, Brfe. an Sch. S. 56). 
3 Von Gustav Schilling hatte Schiller einige Gedichte in die Thalia aufgenommen. 
4 B- ist natürlich Karolines Gatte Beulwitz. 
5 Zu der nicht recht aufgeklärten fatalen Geschichte Karoline Dacherödens und ihres Arztes Meckel vergl. Fielitz, Nr. 232. Schs. Gedanke an unserer Stelle Meckels Indiskretion zu strafen, ist wenig ritterlich, war aber auch wohl nur im ersten Unmut hingeworfen. Auch Lotte stimmt (Fielitz, Nr. 238) freilich dem Gedanken zu. 
6 Der Student ist wohl wieder der Schwede Thomas Berling, von dem Schiller die Belagerung der Johanniter in Rhodus in seine Thalia aufnahm.