Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Caroline v. Beulwitz. 

Jena d. 3. Nov. [Dienstag] 89. 

Wie freut mich, was du mir von deiner Gesundheit schriebst, meine Karoline! und wie liebe ich den Himmel wegen dieses Geschenks, das er mir gab! O ich könnte unmenschlich seyn gegen andre, und von ihrem Leben und ihrer Gesundheit nehmen und dir es geben – und thut es nicht auch die Natur? Wie viele Pflanzen sterben für den Menschen – warum sollten die unedeln nicht sterben, daß das Edelste lebe und blühe? 

Ich habe zwey oder drey glückliche Tage erlebt, Karoline, und ich habe mein eigenes Herz dabey beobachtet. Eine Arbeit1, die mir anfangs nichts versprach, hat sich plötzlich unter meiner Feder, in einer glücklichen Stimmung des Geistes, veredelt, und eine Vortreflichkeit gewonnen, die mich selbst überrascht. Ich habe noch nichts von diesem Werthe gemacht, wenn mich anders die noch zu große Wärme meines Kopfs, die leicht auch auf mein Urtheil übergehen konnte, nicht irret; nie habe ich soviel Gehalt des Gedankens in einer so glücklichen Form vereinigt, und nie dem Verstand so schön durch die Einbildungskraft geholfen. Du wirst mich über mein Selbstlob auslachen, aber ich spreche2 wie ein fremder Mensch von mir, denn wirklich bin ich mir in dieser Arbeit selbst eine fremde und eine neue Erscheinung geworden. Es thut mir nur leid, daß du die ganze Schönheit nicht wohl genießen kannst, weil sie einige genaue historische und politische Kenntnisse voraussetzt, die dir fehlen und recht gut fehlen dürfen. Es war mir aber nie so lebhaft, dass jezt niemand in der deutschen Welt ist, der gerade das hätte schreiben können als ich. Noch einmal! du wirst mich auslachen, aber möchtest du es immer – wenn ich dir nur so nahe wäre, es zu sehen! 

Ach! Und wie3 hat sich auch dieses innige Geistesvergnügen doch wieder an mein Liebstes, mein Alles, angeschlossen, und ist von euch schöner und süßer zu mir zurück gekehrt. Ich gehöre nicht mehr mir selbst! Nur dass ich eurer werther bin, dass ich dem Bilde näher trete, das eure Liebe euch von mir machen läßt, nur dieses ist es, was mich entzückt, wenn ich mir über etwas großem begegne, wenn ich mir meine eigne Achtung abgewinne. Jedes erhöhte Selbstgefühl wird zu einem lebhaftern Glauben an eure Liebe, und darum vergebe ich es mir auch selbst. 

Ach! was für himmlisch süße Stunden uns bevorstehen, wenn wir zusammen wohnen werden, theure Liebe! wenn meine Seele, durch eine gelungene Beschäftigung aufflammend und bewegt, auch meiner Liebe Flammen der Schöpfung zubringen, und eure Liebe meinem Geiste Feuer und Leben borgen wird. Wie viele solcher Augenblicke erhöhterer Empfindung habe ich gestern und heute in todter Einsamkeit, ohne Gewinn für mein Herz und für das eurige, verzehren müssen! Wie viel hätte ich euch in diesen Stunden geben können, und wie viel von euch empfangen! Auch selbst von euch getrennt, wurde meine höchste Begeisterung zur Liebe, und selbst meine Geistesarbeiten haben euch so lieb, dass sie mich, ohne den Gedanken an euch, nicht entzücken wollen. 

Der Chere Mere will ich kommenden Freitag schreiben. Nicht ohne Unruhe wird es für mich abgehen, denn eine sehr zarte Saite ist es immer, die in mir und in ihr dadurch angeschlagen werden muß. Es wird in eurem Verhältniß zu ihr, wie in dem meinigen, eine Veränderung machen.

An den Coadjutor will ich nächstens auch schreiben, und ihn geradezu mit meinem Wunsch bekannt machen, in eine bessere Sphaere versetzt zu werden, wo mein Geist von elenden Rücksichten des Gewinns unabhängig wirken kann. 

Diesen Brief schrieb mir die Kalb. Sie ist doch ein seltsam wechselndes Geschöpf, ohne Talent glücklich zu seyn, wie könnte sie also geben, was sie selbst nicht hat? Das Urtheil, das man dir von ihr gefällt hat, finde ich ziemlich richtig. Vor ihrer Neugierde muß man sich hüten, vor ihrer Inconsequenz, die sie oft verleitet sogar sich selbst nicht zu schonen, und auch vor ihrer Starkgeisterey, die sie leicht verführen könnte, es mit dem Besten andrer nicht so genau zu nehmen.

Leb wohl liebste Karoline! leb wol und sorge für deine Gesundheit! Sorge für meine Ruhe! leb wohl, meine theuerste! 

S. 

Für Caroline.


Bemerkungen

1 Die Arbeit war die „Universalhistorische Uebersicht der vornehmsten an den Kreutzzügen theilnehmenden Nationen, ihre Staatsverfassung, Religionsgebräuche, Sitten, Beschäftigungen. Meinungen und Gebräuche.“ Sie erschien in der „Sammlung historischer Memoires“, 1. Abth. 1. Bd. S. XV-LII. 
2 Nach „spreche“ sind ausgestrichen die Worte: „auch wirklich“. 
3 Das Wort „wie“ könnte auch „mir“ heißen.