Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Lotte v. Lengefeld. 

Donerstag abends. [29. Oktober 1789.]

Laß alle rote Billets1  auf immer unter uns abgethan seyn liebe Lotte. Von mir hast du keins mehr zu erwarten, und ich hoffe, dass ich mir von dir keines zuziehen will. Du hast gegen mich nicht anders seyn können als du warst, und wenn ich nicht war, was ich seyn wollte und gesollt hätte, so kam es daher, weil ich in Einem Falle mit dir bin, ich habe die große Meinung nicht von mir, dass ich auch gleich glaube, was ich wünsche. Ohne Carolinen hätte ich lange mit dir umgehen können, ohne es deutlich zu hoffen, daß ich dir mehr seyn könnte als dein Freund. Soll ich es dir gestehen? Ich hielt dich nicht mehr für ganz frey. Eine frühere Neigung, fürchtete ich, hätte dich gebunden, und ihr Eindruck würde durch einen neuen nicht ganz mehr zu verlöschen seyn. Vielleicht, wenn mir dieser Gedanke nicht vorgeschwebt hätte, würde ich schneller in deiner Seele gelesen haben. 

Aber diese Dinge sollen uns nicht mehr beschäftigen. Haben wir uns doch verstanden und gefunden und gehören uns auf immerdar! – Nur vorwärts liebe theure, laß uns sehen! 

Ja eine schöne Harmonie soll unser Leben seyn, und mit immer neuen Freuden sollen sich unsere Herzen überraschen. Unerschöpflich ist in ihren Gestalten die Liebe, und die unsrige glüht in dem ewigen schönen Feuer einer immer sich mehr veredelnden Seele. 

O es ist jezt das einzige Glück meines Lebens, daß ihr mich in einem Herzen der Liebe trägt. Meine Seele kann sich an nichts anders mehr binden – aber auch das ist das Werk unsrer Liebe. Durch euch werden mich auch meine vorigen Freuden wieder interessiren, ohne euch finde ich sie nicht mehr. 

Du mußt mir ja viel schreiben, meine Liebe. Jezt ist es noch an dir, etwas mehr mir zu geben, als ich dir geben kann, aber ich will alles, was du mir mehr schreiben wirst als ich dir, als ein Capital bey mir bewahren, und es dir einst wenn ich freyer bin, mit recht hohen Zinsen zurückgeben. Ja, du wirst es gewiß, denn du weißt, daß du für meine Freude arbeitest. Deine Seele muß sich in allen ihren Gestalten vor mir verklären, und daß ich dir nahe bin, daß du mich denkst, diß kannst du mir nicht zu oft wiederhohlen. Ach! immer neu überströmt es mich das Gefühl, daß du mein bist, daß wir einander gehören, daß wir unzertrennlich sind!

Ein Monat und ich sehe euch wieder; vielleicht nicht einmal solange. Ich habe euch dann in meinem Zimmer, an dem Ort gesehen, wo ich euch mein einsames Leben lebe, wo eure Gestalten schon längst eingewohnt sind. Ich habe dir auch etwas zu zeigen, was ich gestern bekommen habe und was mir sehr viel Vergnügen gemacht hat; meine Schwester aus Meinungen hat meine Familie gemahlt, und diese hat sie mir nun copiert. Mein Vater und meine Mutter sind ziemlich getroffen, meine Schwestern kann ich nicht beurtheilen, weil sie indessen groß geworden sind. Ich bin begierig, ob du die Ähnlichkeit zwischen meinem Vater und mir nicht auch finden wirst. 

Adieu adieu theure Lotte. Für Karolinens Gesundheit wirst du sorgen und dich hoffentlich auch schon in der Wirtschaft darauf einrichten. Leb wohl meine liebe. 

S. 

Ist die Stein und Imhof noch bey euch so sage ihnen viele Empfehlungen von mir. 

Den Lorbeerkranz habe ich heute wieder gesehen. Er war gar artig gegen mich. Weil ich 2 Stunden hintereinander lese, so wollte er mich in der kurzen Zwischenzeit mit Thee regalieren, daß mein Hals nicht zu sehr angegriffen würde. Ist das nicht galant von der ungalanten Person? 

Ich umarme dich und Carolinen. Ewig euer 

S.


Bemerkungen

1 Lotte hatte am 24. Okt. (Fielitz, Nr. 214) geschrieben: „In W[eimar] konnte ich als eine neu ankommende Bekanntschaft (ich will Dir doch das rothe Billet wieder ins Gedächtnis rufen) nicht mehr als Deine ältern Freundinnen verlangen, sogar weniger, und meine Bescheidenheit erlaubte es nicht, mehr Ansprüche auf Dich zu machen, so sehr mich mein Herz zu Dir zog. – Auch bei Deinem Aufenthalt unter uns voriges Jahr kam mir zuweilen ein Mißtrauen auf mich selbst an, und der Gedanke, daß Dir Karoline mehr sein könnte als ich, daß Du mich nicht zu Deinem Glück nöthig hättest, zog mich auch mehr in mich zurück.“ Also das rothe Billet Schillers muß ein Brief gewesen sein aus der ersten Zeit der Bekanntschaft mit Lotte, als sie noch in Weimar war, der Kleinmut und Mißtrauen in die Freundschaft Lottes atmete. Ich vermute, es ist das leider verlorene Begleitbillet zu dem Stammbuchblatt (Fielitz, Nr. 5) gemeint, worauf Lotte mit einer Rechtfertigung antwortete, daß sie zwischen neuen und alten Freunden keinen Unterschied mache, aber am fremden Orte weniger von sich selbst abhänge. Wenn also Schiller in unserm Brief alle rote Billets für die Zukunft verbittet, so meint er alle Briefe, die gegenseitig irgend Mißtrauen in die Treue und Liebe des Andern atmen. Und Lotte versichert in der Antwort (Fielitz, Nr. 222) zuversichtlich, daß jetzt auch ihr der Gedanke an rote Billets nicht mehr kommen werde.