Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Gottfried Körner. 

Rudolstadt, d. 28. Sept. [Montag] 89.

Es ist erschrecklich lange, daß ich Dir nicht geschrieben und von Dir nichts empfangen habe. Alle mögliche Abhaltungen häuften sich in diesen 4 Wochen zusammen; ein Collegium, das ich zu Ende bringen mußte, meine Reise hieher und ein elendes Zahnweh das mir die erste Woche, die ich hier zubrachte, ganz verdorben hat. Eine sonderbare Sache, so ich Dir ein andermal schreiben will, und überhaupt ungern schreibe, hat mir noch außerdem eine starke Diversion gegeben. Wie gern hätte ich Dich dabey zu Rathe gezogen! Sie betrifft Ch. K. und mein neues Verhältniß mit LL1; vielleicht wirst Du Dir die Hauptsache zusammensetzen.

Mit der K. wird es wahrscheinlich zur Scheidung von ihrem Manne kommen; auf den Brief, den Sie ihm darüber schrieb, hat er so geantwortet, daß er ihrem Willen nicht Gewalt anthun wolle, und die Hindernisse, die er entgegensetzt, sind durch einen neuen Brief, den sie ihm deßwegen schrieb, ganz widerlegt. Er beruft sich auf eine Liebe, die sie ihm nie gezeigt, und nie für ihn gefühlt hat, und auf die seinige, die sie nie erfahren hat. Sein Brief zeigt Delikatesse und Empfindung, aber er ist schlaff und unmännlich und verbessert seine Sache nicht. 

In Weimar bin ich seitdem nicht gewesen, dass ich Dir also von unsrer Sache nichts neues melden kann. Schicke aber, sobald Du kannst, etwas von Deinen Arbeiten an mich, daß ich es Voigt zeigen kann. Schwierigkeiten hat es positiv nicht, und für den Ausgang wollte ich Dir stehen. Es muss nur abgewartet werden, bis eine Besoldung, wenn sie auch klein ist, vacant wird. Vorher aber muß die Sache zwischen Voigt und Dir so weit berichtigt seyn, daß er sogleich mit Lebhaftigkeit für Dich handelt, wenn ein solcher Fall eintrift, denn es geht hier schnell mit Besetzung der Stellen, weil soviele arme Schlucker darauf warten. An einem Titel, der den Oncle2befriedigt, wirds am wenigsten fehlen. Es ist mir eigentlich leid, daß ich vergessen habe, Dich mit dem Geheimrath Schmidt bekannt zu machen, das ist der Cerberus, der auf der herzoglichen Schatulle ligt, und der ihm wenigstens die Sache leicht oder schwer machen könnte. Ich bin aber leidlich gut mit ihm, und glaube, daß ich ihn werde für die Sache interessieren können. Mit Voigt aber wünschte ich Dich in einer ordentlichen Correspondenz. 

Ich muß Dir aber auch einige Gründe contra sagen, daß Du sie prüfen magst, weil der Schritt doch einmal nicht zurückgethan werden kann, wenn er geschehen ist. Äußre Schwierigkeiten wirst Du schwerlich finden, und Du für Dein Theil wirst bey dem Tausch offenbar gewinnen, aber von Deiner Frau und Dorchen bin ich es weniger gewiß. Ich habe während Eures Weimarschen Aufenthaltes nicht müßig zugesehen, und glaube einige Bemerkungen gemacht zu haben, die in Anschlag gebracht werden müssen. Für die Frauen wird sich schwerlich ein Zirkel finden, die bürgerlichen sind gar zu erbärmlich und mit dem Adel geht es nicht lange gut. Ich könnte diß letztere mit triftigen Gründen belegen, aber erlaß mir sie. Wenigstens, biß die beiden das Geheimniß gefunden haben, wie man es mit dem Adel halten muß, um nur Vergnügen aus seinem Umgange zu schöpfen, stehe ich nicht für unangenehme Scenen. Was Dich betrift, so wirst Du hoffentlich die Bekanntschaft mit Göthe und Herder bald auf ihren wahren Werth herabsetzen lernen; aber mit aller Vorsicht wirst Du dem allgemeinen Schicksal nicht entgehen, das noch jeder erfuhr, der sich mit diesen beiden Leuten liirte. Dein engerer Zirkel wird sich, wie ich voraussehe, bald auf Voigt und allenfalls noch auf Bode einschränken. 

Herder hat vor einiger Zeit einen unverzeihlich dummen Streich gemacht. Seit seiner Zurückkunft aus Italien hatte er nicht gepredigt, weil er erst abwarten wollte, ob er bleiben würde. Wie nun seine Sache entschieden war, so bestieg er zum erstenmale die Kanzel wieder; alles kam in die Kirche, selbst von Jena aus, und war voll Erwartung – er predigte über sich selbst, und in Ausdrücken, die seinen Feinden gewonnen Spiel über ihn geben, und alle seine Freunde zum Schwiegen brachten. Das Te Deum wurde gesungen, mit einem Text, der auf ihn gemacht war und in den Kirchstühlen ausgetheilt wurde. Alles ist aufgebracht, und hat diese Comödie äuserst anstößig gefunden. – Noch ein Beispiel von seinem Savoir-vivre. – Bey der Tafel der Herzogin sprach er vom Hof und von Hofleuten, und nannte den Hof einen Grindkopf und die Hofleute die Läufe, die sich darauf herum tummeln. Dieß geschah an der Tafel, und so, daß es mehrere hörten. Man muß sich dabey erinnern, daß er und seine Frau den Hof suchen, und auch vorzüglich durch den Hof soutenirt werden. Aber genug von diesen Knabenstreichen. 

Ich mache mir meine Ferien so gut zu nutze, als ich kann. Es sind die ersten, die ich erlebe, und es kommt mir wunderlich vor, daß mir eine Zeit vorgeschrieben ist, wo ich frey über mich disponieren kann. Kommenden Winter lese ich die Woche 5 Stunden Universalgeschichte, von der fränkischen Monarchie an bis auf Friedrich II. und eine Stunde publice Geschichte der Römer; so dass ich von Ostern 1789 bis Ostern 1790 den ganzen Cursus der Universalhistorie durchgemacht haben muß. Wie? das ist eine andere Frage. Sehr begierig bin ich nun, wie mein privatum ausfallen und ob etwas Geld dabey zu hohlen seyn wird. Aber daß mir diese Nothwendigkeit, Fakta einzustudieren, äuserst wohl thut, fühle ich schon jezt – und in wenigen Jahren wird diese Anfüllung mit Materialien in meinen schriftstellerischen Arbeiten merklich gefühlt werden. 

Hast Du Voyage d’Anacharsis3 gelesen? Man macht sehr viel daraus, und ich bin eben daran, sie zu lesen, habe aber wichtige Einwendungen dagegen. Diese Form wäre vortreflich, wenn sie durch ein Genie ausgeführt worden wäre. Dieß aber scheint nicht der Fall zu seyn. Schon das Bedürfniß, durch eine Introduction zu supplieren, was in der Reise selbst nicht hat angebracht werden können, verräth einen stümperhaften Plan. Ein Künstlergenie würde die ganze Griechische Geschichte ungezwungen in die Reise selbst zu verflechten gewußt haben, und zwar mit einer solchen Oeconomie, daß jedes nur an der Stelle erwähnt worden wäre, wo es zum Verständniß des nächstfolgenden gedient und die höchste Wirkung gethan hätte. Dann scheint mir auch keine strenge Wahl des Interessanten darinn stattgehabt zu haben; man sieht, wie mühsam er z. B. die Topographie und dgl. von einzelnen Inseln, Städten u. s. f. zusammentrug, um dadurch Leben und Wahrheit in seine Schilderung zu bringen; aber was ligt uns so sehr an der geographischen oder naturhistorischen Beschaffenheit von Örtern, die nicht mehr sind, und auch, da sie waren, nicht viel zu bedeuten hatten. Es ist schon ein großer Fehler, daß die Leser für die das Buch geschrieben ist, ganze Seiten überschlagen. Der Franzose blickt sehr stark durch, und oft der junge Franzose; in der Einleitung ist viel Declamation. 

Ich habe den Livius mit hieher genommen, den ich jetzt zum allererstenmal lese, und der mir überaus viel Vergnügen gibt. Warum habe ich nicht Griechisch genug gelernt, um den Xenophon und Thucydides zu lesen? Mein eigener Stil ist noch nicht historisch und überhaupt noch nicht einfach, und nach den Neuern möchte ich ihn doch nicht gern bilden, am wenigsten nach Gibbon, dem so hoch gepriesenen.

Lebe wohl. Was ich an Briefen versäumt habe, hohle ich nach; thue Du ein Gleiches. Ihr seid doch gesund und wohl? Ich könnte hier glückliche Tage leben; aber die Arbeiten drücken mich, und über eine Woche war ich wegen Zahnschmerzen unfähig zu Vergnügen und Arbeit. Grüße Minna und Dorchen, und der lezten bringe ein kleines Versprechen in Erinnerung. Der Minna schicke ich das Blatt für ihr Stammbuch4, sobald sich eine Muse meiner erbarmet. Lebe wohl. 

               Dein 

Schiller.


Bemerkungen

1 Lotte Lengefeld.
2 Körners Onkel Ayrer in Zerbst wurde sorgsam berücksichtigt, weil es galt, ihn zu beerben.
3 Zu Schillers Lektüre in dieser Zeit oder wenigstens seinen literarischen Interessen führe ich noch folgende Stelle aus einem Briefe Karoline v. Beulwitz’ an den Rat Becker in Gotha vom 27. Sept. 1789 hier an. (Vergl. Archiv f. Littgesch. XIV. S. 422): „Nun auch einen Auftrag von unsrem Freund Schiller, der eben wieder bei uns in Volkstädt ist, und Sie schön grüßet. Er wünschte le rêve d’Alembert zu lesen, ein Manuskript, das der Prinz August besitzt. Wenn Sie einen Kanal haben, es uns für einige Tage zu verschaffen, so würde es uns viel Freude machen.“ 
4 Ein Eintrag in Minnas Stammbuch von Rudolph Becker ist abgedruckt Arch. F. Littgesch. XIV. S. 421.