Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Lotte von Lengefeld und Caroline von Beulwitz.

Montag 7 September [1789].

Gestern Abend haben Griessbachs Fremde gehabt, wozu ich auch gebeten wurde; da fand ich die Wiedeburg1, die erst seit Mittag angekommen war. Ich fand sie ordentlich schön, sie kam von Euch, ich hätte ihr um den Hals fallen und sie küssen mögen; auch war ich noch nie so artig mit ihr. Ihr guter Engel gab ihrs ein, recht viel und recht viel schönes von euch zu erzählen, es war ein gar vortrefliches Geschöpf. Von dir Caroline sagte sie, du habest anfangs krank ausgesehen, jezt aber sähest du gesünder aus, als jemals, und man sähe dir das Wohlbefinden recht an. – Das macht, weil sie glücklich ist, sagte mir mein Herz, ob ich gleich gegen die Wiedeburg das Verdienst davon auf den Brunnen schob, den du jezt trinkst – Verzeih mir diese Bemerkung. Ich nehme sie aus meinem eigenen Herzen, und sie gibt mir soviel Freude.

Sie hat mir auch gesagt, daß ihr fremde von Kochberg bekommen würdet, möchte es doch nicht Knebel seyn, und eine unglückliche Großmuth es ihm nicht eingeben, euch eure Einsamkeit durch seine Gesellschaft erträglich machen zu wollen. Der Mensch hat gar zu viel Eitelkeit und ein gar zu gutes Herz! Die Wiedeburg will alle Tage bei euch gewesen seyn, das ist doch etwas viel! Aber eure Jungfer ist auch alle Tage um euch und darum möchte ich eure Jungfer doch nicht seyn – denn was ist das Licht einem Blinden? und ich sage mir denn auch, daß ihr dann am wenigsten in Rudolstadt seid, wenn diese Leute um euch sind. Ist es nicht so?

Wie habe ich seit vorgestern und gestern mit euch gelebt, und wie lange kommt mir die Zeit vor, daß ich keinen Brief von euch erhalten habe. Es ist doch ein unersättliches Geschöpf, der Mensch. Jezt, da ich die Woche 2mal Briefe von euch erhalte (und eigentlich viermal, denn meine Briefe an euch geben mir fast soviel Freude, als die ich von euch empfange, weil sie euch mir so gegenwärtig machen) so ist es doch nicht im geringsten beßer als vorher, da ihr mir nur einmal in der Woche schriebt, und ich glaube wenn ich jeden Tag welche von euch zu hoffen hätte, so würde ich es jede Stunde und endlich jede Minute wünschen, biß meine Wünsche alles Briefschreiben unnöthig machten. Ich weiß keine glücklichern Augenblicke, als die worinn ich euch schreibe oder eure Briefe erhalte. Lezten Sonnabend wurde ich recht gequält, und ich hatte ein paar recht misvergnügte Stunden. Biß dahin hatte ich eure Briefe richtig allemal vor 10 Uhr Vormittags gehabt, nur vorigen Sonnabend blieben sie das erstemal aus biß nach 3 Uhr. Ich hatte die Hoffnung schon ganz und gar aufgegeben, und mir wegen des Ausbleibens dieser Briefe die unruhigsten Gedanken gemacht. Der Gedanke, daß sie zu spät könnten auf die Post gebracht worden seyn, tröstete mich endlich – Wenn sie geschrieben sind, dachte ich, so haben sie vielleicht den glücklichen Gedanken, und schicken sie mir durch einen Expressen.

Vorgestern Abend konnte ich dem verlangen nicht widerstehn eure Briefe vom vorigen Jahr, und die Billets besonders, die wir im letzten Sommer und Herbst miteinander wechselten, zu durchstören. Wie lebhaft brachten sie mir manche Situationen zurück, diejenige besonders, wo ich mit dem Entschluße kämpfte, euch mein Herz näher zu entdecken. Ach ihr ahndetet meine Seele doch nicht immer! Wie kalt und frostig sind manche dieser Billets geschrieben oder scheinen sie mir jezt nur so? Sie machten mich traurig, denn ich glaubte in dem Augenblick wo ich sie las, ihr hättet sie so eben erst geschickt und wir stünden noch so mit einander. Schon der Gedanke, dass wir uns einmal weniger waren, schlägt mich nieder, die Liebe muß hinter sich wie vor sich Ewigkeit sehen. Es sind welche darunter, die von Trennung sprechen, von der Nothwendigkeit, entfernt von einander zu leben, in die man sich fügen müsse – War es möglich, daß euch unser Genius nicht die Hand hielt, als ihr dieses niederschriebt? Trennung – ich kenne, und sehe keine andre mehr, als diejenige, die uns von allem – und also auch von jeder Erinnerung trennt. Mein ganzes zeitliches und ewiges Leben ist an diesem einzigen Haare befestigt, und reißt dieses, so habe ich nichts mehr zu verlieren.

Aber auch einige Briefe sind darunter, die mir Muth gaben da ich sie empfing und Genuß als ich sie vorgestern wieder las. Unser Abschied vorigen November wirkte tief tief auf meine Seele, und ein Billet2 , das ihr mir damals schriebt, hat mir Thränen ausgepreßt. Es war jenes, wo ihr ungewiß war’t wenn ich gehen würde, und die Reise nach Erfurt in Vorschlag gebracht wurde. Ich war wirklich noch nicht entschloßen zu gehen, aber dieses Billet überführte mich, dass ich zu keiner bessern Zeit gehen könnte. Es war mir aber doch schrecklich, als ich mich zur Eise anschickte, alle meine Hofnungen waren noch nicht viel weiter, als sie zu Anfang des Sommers gewesen waren, und die ganze Aussicht meiner Liebe schien wieder verfinstert zu seyn. Sehr theuer war mir auch dien Brief Caroline, wo du dich über eine Veränderung, die in unserm Verhältniß eingerissen war, erklärtest. Dieser Brief liess mich tief in deine Seele blicken, und eine neue Hofnung belebte die meinige.

Eines Abends, als ich zu euch kam, war zwischen eurer Mutter (die damals nicht ganz wohl war) und Lotten ein Auftritt vorgefallen, worüber? weiss ich nicht; aber, wie ich kam, warst du noch sehr davon bewegt Lotte, und erzähltest mir davon. Karoline gieng einige Augenblicke weg, ich sagte dir einiges über das Vorgefallene, und du drücktest mir die Hand – das erstemal – und mit einer tiefen Bewegung. Karoline kam wieder, das einzigemal, wo mir ihre Erscheinung zur Unzeit kam, denn wir brachen ab, weil sie nicht wußte, noch wissen konnte, was eben geschehen war, wir es also auch nicht fortsetzen konnten. Damals liebste Lotte glaubte ich in deinem Herzen etwas zu lesen – aber diese Stunde kam nicht wieder.

Unsre Caroline D. wird jezt beßer seyn, als ihr Brief sagt, will ich hoffen; es ist kein Datum beigeschrieben, aber es ist der Erste, den sie euch geschrieben hat. Ich fürchte doch nicht soviel für ihre Gesundheit, als du zu fürchten scheinst Karoline; eure weibliche Natur ist im ganzen stärker als die unsrige, weil sie weniger widersteht, und diese Zufälle besonders sind oft nur an gewiße Jahre gebunden. Auch setzt sie ihrem körperlichen Leiden einen bewundernswürdigen Muth entgegen, der sie nicht unterliegen lassen wird. Freilich, einsam sollte sie nicht seyn, und ihr geschäftiger, der Freude geöfneter Geist sollte wenigstens immer Beschäftigung und einen Gegenstand um sich haben. Ihr müßt ihr ja fleißig schreiben, und ihrem Herzen immer nahe seyn. Ihr könnt sie gesund machen, oder wenigstens ihren Muth gegen die Krankheit lebendig erhalten.

Montag Abends.

Vielleicht lege ich eine Uebersetzung von einem griechischen Stücke bey; ein Student versprach, mir dazu zu verhelfen. Auf den Anarcharsis freue ich mich sehr, die Kalb hat mir angelegen, ihn zu übersetzen, aber an so etwas ist jezt nicht zu denken, wenn ich auch schon an dieser Beschäftigung Geschmack finden könnte. Die Uebersetzung der Prinzessin Comnena, wovon doch nur einige Bogen auf meine Antheil fielen, hat mich herzlich ermüdet. Der Stil ist schlecht und in sehr falschem Geschmack, der Inhalt hat wenig Interesse, und der Geist einer solchen Schriftstellerinn gibt immer eine schlechte Gesellschaft.

Ich komme mir jezt selbst närrisch vor, denn während daß ich an diesem Briefe schreibe – schriebe ich auch an einer Vorlesung für Morgen, und es geht darum nicht schlechter, weil die Illusion, daß ihr um mich seid, mich bey heitrer Stimmung erhält. Die Mahomedaner kehren, wenn sie beten, ihr Gesicht nach Mecca, ich werde mir eine Katheder hier anschaffen, wo ich das meinige gegen Rudolstadt wenden kann, den dort ist meine Religion und mein Prophet. Aber gute Nacht ihr Lieben. Morgen erwach’ ich zu euren Briefen, und lege dann vielleicht dem meinigen noch ein Blatt bey. Gebe der Himmel, daß ich recht glückliche Nachrichten von euch erhalte, denn die Sache wird mit der Chère Mère nun abgethan seyn. Die große Angelegenheit3 wollen wir jezt ja noch ruhen lassen, das versteht sich. adieu. adieu.

Mittwoch [fälschlich für Dienstag] früh.

Nur noch zwey Worte meine theuersten! Ein Correcturbogen aus der Druckerey wartet, und will eilig abgefertigt seyn. So gerne gerne möchte ich euch sagen, wieviel Freude eure Briefe mir gegeben haben – und gleich jezt zu euch fliegen zu können, und euch an mein Herz zu drücken biß in Ewigkeit! O ihr seid Engel –, Engel für mich! Denn was bekümmert mich jezt noch im Himmel und auf Erden! – Vielleicht bin ich am Mittwoch schon bei euch. Meine Collegien werden Morgen geschlossen – aber pressante Geschäfte halten mich noch 4-5 Tage4 länger. So wie die lezte Zeile fertig ist, bestelle ich den Wagen. Ihr schreibt nicht, wie Eure Mutter die gegebene Nachricht5 aufgenommen hat – Ist dieses Schweigen von Bedeutung? Ich kann der guten Mutter nicht helfen. Adieu meine theuersten, adieu.

S.