Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Lotte von Lengefeld.

Dienstag Abends 25 August.

Wie schön bin ich heute erweckt worden! Das erste worauf mein Auge fiel, waren Briefe von euch. Mit dem Gedanken schlief ich ein, heute welche zu erhalten. An diesen periodischen Freuden werde ich künftig alle meine Zeit abzählen, biß uns endlich dieser dürftige Behelf nicht mehr nöthig ist.

Aber wie ungenügsam sind doch unsre Wünsche! Wieviel hätte ich noch vor einem Monat um die blosse Hofnung dessen gegeben, was jezt schon in Erfüllung gegangen ist! Um einen einzigen Blick in Deine Seele! Und jezt, da ich alles darinn lese, was mein Herz sich solange wünschte, eilt mein Verlangen der Zukunft vor, und ich erschrecke über den langen Zeitraum, der uns noch trennen soll. Wie kurz ist der Frühling des Lebens, die Blüthenzeit des Geistes, und von diesem kurzen Frühling soll ich – Jahre vielleicht noch verlieren, ehe ich Das besitze, was mein ist. Unerschöpflich ist die Liebe – und wenig sind der Tage des Lenzes!

In einer neuen schöneren Welt schwebt meine Seele, seitdem ich weiss, daß ihr mein seid. Theure liebe Lotte, seitdem Du Deine Seele mir entgegen trugst. Mit langen Zweifeln ließest Du mich ringen, und ich weiß nicht, welche seltsame Kälte ich oft in Dir zu bemerken glaubte, die meine glühenden Geständniße in mein Herz zurückzwang. Ein wohlthätiger Engel war mir Karoline, die meinem furchtsamen Geheimniss so schön entgegenkam. Ich habe Dir unrecht gethan theure Lotte. Die stille Ruhe Deiner Empfindung habe ich verkannt und einem abgemessenen Betragen zugeschrieben, das meine Wünsche von Dir entfernen sollte. O du mußt sie mir noch erzählen die Geschichte unsrer werdenden Liebe. Aber aus Deinem Munde will ich sie hören.

Es war ein schneller und doch so sanfter Uebergang! Was wir einander gestanden, waren wir einander längst, aber jezt erst geniesse ich alle unsre vergangenen Stunden. Ich durchlebe sie noch einmal und alles zeigt sich mir jezt in einem schöneren Licht.

Wie gut kommt mir der glückliche Wahnsinn jezt zu statten, der mich so oft aus der Gegenwart entrückte. Die Gegenwart ist leer und traurig um mich herum – und in ungebohrenen Fernen blühen meine Freuden. Ich kann mir die Resignation, die Genügsamkeit nicht geben, die eine Stärke weiblicher Seelen ist. Ungeduldig strebt die meinige alles zu vollenden, was noch nicht vollendet ist. Du siehst ruhig der Zukunft entgegen – das vermag ich nicht.

Karoline wirft mir vor1, dass ich habe zweiflen können, ihr würdet mich verstehen, ihr würdet meine Hofnungen mir erwiedern. Aber eben diese Genügsamkeit, diese Nachgiebigkeit gegen eine scheinbare Nothwendigkeit fürchtete ich bey euch. Ich fürchtete, ihr könntet eure Wünsche in den Zwang der Umstände einschließen, und – wie soll ich mich recht deutlich machen? – ich fürchtete, ihr könntet euch unsre Freundschaft ohne Liebe vollenden, und das innre Leben der Freundschaft mit einer Trennung zusammendenken. Sobald ich mich überzeugt haben würde, dass unsere immerwährende Vereinigung auch euch die nothwendige Bedingung zum Glücke der Freundschaft sey – hätte ich nie mehr an eurer Stärke gezweifelt, diese Bedingung durchzusetzen.

Aber mündlich davon mehr. Wie viel werden wir diesen Herbst noch miteinander zu berichtigen haben. Ich will alles thun, um ihn zu beschleunigen.

Wolzogens Brief folgt hier zurück. Er machte mir sehr viel Freude. Seine Anhänglichkeit ist so innig, und nichts Fremdes hat sich noch in sein Wesen gemischt. Er ist ein gar guter Mensch, ich wünschte, dass er um uns leben könnte.

Lebe wohl theure liebe Lotte und denke daß für mich keine Freude ist, als biss ich wieder Briefe von euch sehe. adieu meine Lieben.

S.

[Auf der Rückseite des Blattes]: Für Lottchen.