Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Lotte von Lengefeld

Jena 24. July [Freitag] 89.

Beynahe möchte ich mich des Zufalls freuen, der Ihren ersten Brief an mich – den ich nunmehr auch habe – verspätet hat, weil er Ihnen Gelegenheit gab, mich aufs neue von Ihrer Freundschaft zu überzeugen, die ich zwar nie bezweifle, aber auch nicht zuviel bestätigt hören kann. Schade nur, dass ich keine Gelegenheit gehabt habe, Ihnen meinen festen Glauben daran zu zeigen, da Ihr Brief an die Griessbach (vielleicht weil er an Knebeln eingeschlossen war und also nach Weimar geschickt wurde) später, als der an mich, eingetroffen ist. Wie sehr danke ich es Ihnen, meine liebste Freundinn, dass Sie meiner gedacht haben, und dass Sie mir Beweise davon gegeben haben. In Gedanken uns nahe seyn zu dürfen, ist ja beynahe alles, was das Schicksal uns zu gönnen scheint. Ihr lezter Auffenthalt in Jena war für mich nur ein Traum – und kein ganz fröhlicher Traum; denn nie hatte ich Ihnen soviel sagen wollen, als damals und nie habe ich weniger gesagt. Was ich bey mir behalten mußte, drückte mich nieder; ich wurde Ihres Anblicks nicht froh. So oft ist mir dieses schon begegnet, und nicht immer konnte ich äußerliche Hinderungen anklagen. Kaum sollte man es denken, daß oft auch die übereinstimmendsten Menschen – die einander so schnell und leicht auffassen und so lebendig in einander leben – wieder einen so weiten Weg zu einander haben. So nah und doch so ferne! –

Ihre Empfindungen an diesem Abend waren eine dunkle Ahndung von den meinigen, und ich wünschte sie wären ein Abdruck davon gewesen, so hätten Sie mich ohne Worte verstanden, und alle die Menschen und Menschenähnliche Wesen um uns her hätten unsre Sprache nicht gestört. Ich hatte in meinem Karlos eine Stelle, die ich mit der ganzen Scene, worinn sie stand, weggelassen habe. Diese Stelle drückt am besten aus, was ich hier meyne.

„– – – Schlimm, daß der Gedanke
erst in der Worte todte Elemente
zersplittern muß, die Seele sich im Schalle
verkörpern muß, der Seele zu erscheinen.
Den treuen Spiegel halte mir vor Augen,
der meine Seele ganz empfängt und ganz
sie wiedergibt; dann, dann hast du genug
das Räthsel meines Lebens aufzuklären!1

Damals als ich diese Worte schrieb, hätte ich nicht geahndet, daß ich sie einmal für mich selbst würde reden lassen müssen.

Ihre Freundinn muß ein edles und liebes Geschöpf seyn, wenn Sie dem Bilde gleicht, das ich mir, nach Ihrer und Ihrer Schwester Beschreibung, von ihr gemacht habe. Ich wäre sehr begierig, sie zu sehen, und zu beobachten, wie sich Ihre drey Karaktere in einander mischen. Aber ich fürchte, ich würde ein schlechter Beobachter seyn – ich würde lieber daran Antheil nehmen. Was für ein schönes Leben, wenn dieses Lauchstädt eine von den glücklichen Inseln in der Fabel wäre, jedem andern Menschen, als den wir alsdann noch vermißten, unzugänglich!

Sie glauben es nicht, liebste Freundinn, wie viel Muth ich brauche, um dieses freudenlose Daseyn hier fortzusetzen – und bloss allein von den Gütern der Phantasie zu leben. Hier ist auch gar kein Mensch, an den ich mich als Freund anschließen könnte. Ich bin wie einer, der an eine fremde Küste verschlagen worden und die Sprache des Landes nicht versteht. Meinem Herzen fehlt es ganz und gar an Nahrung, an einer beseelenden Berührung, und, durch keinen Gegenstand um mich her geübt, der mir theuer wäre, verzehrt sich mein Gefühl an wesenlosen Idealen.

Aber warum schreibe ich Ihnen solche Dinge? Ich denke hier nur auf mich selbst und sollte mich Ihrer angenehmen Existenz in L. vielmehr freuen. Denken Sie noch ferner an mich, wenn Sie vergnügt in Ihrem kleinen Zirkel sind. Ich werde mich oft unter Sie versetzen.

Dass ich noch nicht bestimmen kann, ob ich Sie in Lauchstädt sehe, wird Ihnen Caroline sagen. Aber ich werde thun, was möglich ist, um diese Hinderung zu entfernen. Auf jeden Fall kann Ihre Zurückkunft über Jena mit der Anwesenheit meiner Freunde zusammen treffen. Auch Fr. v. Kalb wird vermutlich alsdann hier Sie sehen. Sie wünscht sehr, Sie und Ihre Schwester zu sehen.

Leben Sie wohl und empfehlen Sie mich Ihrer zweyten Schwester, die mir unter diesem Nahmen sehr werth und theuer ist. Diesen verwirrten Brief verzeyhen Sie mir. Ich hätte gar nicht schreiben dürfen, oder der Brief mußte so ausfallen wie er ist. adieu. adieu.

Schiller