Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Gottfried Körner

Weimar, 12. December [Freitag] 1788.

Seit meinem letzten Briefe an Dich bin ich nicht aus dem Hause gekommen. Du kannst Dir gar nicht einbilden, was für ein Geist des Fleißes mich besitzt, und wie viel besser und behaglicher mir in diesem Elemente ist, als bei meiner vorigen so getheilten Existenz. Zwar geschieht nicht so sehr viel, als verhältnißmäßig zu erwarten wäre, da ich soviel Muße habe, denn ich arbeite etwas schwer und habe, wie Du weißt, immer eine langsame Feder gehabt. Aber eine Hauptsache, die gewonnen wird, ist, daß mein Geist mehr zusammengehalten wird und sich mehr mit seinen inneren Ressourcen zu behelfen suchen muß. Der eigentliche Nutzen muß sich erst mit der Zeit zeigen.

Noch immer habe ich den Euripides vor. Die Iphigenia ist zwar nicht sein bestes Stück; aber es wäre nicht gut, wenn ich das beste gewählt hätte, um Lehrgeld darin zu geben. Die Hauptsache ist die Manier, die im Schlechten herrscht wie im Besten, und in jenem fast noch leichter bemerkt wird. Mein Styl hat dieser Reinigung sehr nöthig. Ich hoffe, ehe ein Jahr um ist, sollst Du an diesem Studium der Griechen – Studium kann ich es aber für jetzt noch kaum nennen – schöne Früchte bei mir sehen. Diese Woche wird die Iphigenia fertig und von den Phönicierinnen sind bereits zwei Acte übersetzt. Nach diesem wertet ein rechter Leckerbissen auf mich, nämlich des Aeschylus Agamemnon1, den ich mit mehr Fleiß ausarbeiten werde. Ich hab ihn Wieland schon für den Mercur zugesagt. Vom Geisterseher sind zwölf bis funfzehn Blatt in allem fertig. Nun hab’ ich ihn das drittemal liegen lassen. Ich habe noch immer kein Herz dazu gewinnen können, obgleich einige fruchtbare Adern aufgegraben sind. Nächste Woche beschäftigt er mich wieder. Auch für den Julius habe ich Ideen, aber sie liegen noch gestaltlos und roh. Heute wollte ich Dir mein Gedicht schicken, aber da müßte es wenigstens zu lesen und einige Lücken ergänzt seyn. Ich habe es von einer guten Stunde zur anderen verwiesen, und immer nicht dazu kommen können. Gedruckt überrascht Dichs vielleicht mehr. Zum Aendern hätte ich doch keine Zeit, wenn Du allenfalls zu ändern fändest, weil ichs heut über acht Tage an Göschen verabfolgen lassen muß2 – um auf Neujahr Geld zu haben.

Moritz ist eben hier auf seiner Rückreise von Italien; er wohnt bei Goethe. Letzterer hat ihm seinen Stempel mächtig aufgedrückt; sie kamen einander in Rom sehr nahe, und Moritz ist über Goethes Humanität panegyrisch entzückt. Ich fand über einige meiner Lieblingsgefühle, davon in Julius Briefen etwas ausgestreut ist, sehr viele Berührungspunkte mit Moritz. Sein Wesen hat viel Tiefe, seine Seele wirkt schwer, aber er bearbeitet seine Ideen zu möglichster Klarheit. Ueber einige Aehnlichkeit seines Anton Reiser mit meinem Sonnenwirth fing er auch an. Er hat die Thalia in Rom gefunden3.

Neulich kam Schubarts Sohn4 aus Berlin hier durch; er geht als preußischer Legationssecretair mit dem preußischen Gesandten von Stein nach Mainz. Doch eine kleine Zerstreuung für Huber! aber er weiß nicht, ob er bleiben wird. Er soll nach Regensburg versetzt werden. Er erzählte mir, daß den Tag vor seiner Abreise mein Carlos auf königlichen Befehl in Berlin gegeben worden, und von 5 bis ½11 Uhr gespielt habe5. Er spricht Wunder von der Wirkung des Stücks auf – den König. Mir macht nur dieses daran Spaß, daß Engel und Ramler so armselige Hunde sind, um nicht einmal ihren Geschmack auf der Bühne behaupten zu können. Meine Geschichte circulirt hier stark. Goethe hat sie jetzt. Auch in Berlin spukt sie.

Heute erwarte ich einen Brief von Dir. Ich muß diesen aber schließen und fortschicken; ich werde Dir also auf den Deinigen erst mit nächstem Brieftage antworten.

S.