Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Gottfried Körner

Rudolstadt, 12. September [Freitag] 1788.

Endlich kann ich Dir von Goethe erzählen, worauf Du, wie ich weiß, sehr begierig wartetest. Ich habe vergangenen Sonntag beinahe ganz in seiner Gesellschaft zugebracht, wo er uns mit der Herder, Frau v. Stein und der Frau v. Schardt, der, die Du im Bad gesehen hast, besuchte. Sein erster Anblick1 stimmte die hohe Meinung ziemlich tief herunter, die man mir von dieser anziehenden und schönen Figur beigebracht hatte. Er ist von mittlerer Größe, trägt sich steif und geht auch so; sein Gesicht ist verschlossen, aber sein Auge sehr ausdrucksvoll, lebhaft, und man hängt mit Vergnügen an seinem Blicke. Bei vielem Ernst hat seine Miene doch viel Wohlwollendes und Gutes. Er ist brünett und schien mir älter auszusehen, als er meiner Berechnung nach wirklich seyn kann. Seine Stimme ist überaus angenehm, seine Erzählung fließend, geistvoll und belebt; man hört ihn mit überaus viel Vergnügen; und wenn er bei gutem Humor ist, welches diesmal so ziemlich der Fall war, spricht er gern und mit Interesse. Unsere Bekanntschaft war bald gemacht und ohne den mindesten Zwang; freilich war die Gesellschaft zu groß und Alles auf seinen Umgang zu eifersüchtig, als daß ich viel allein mit ihm hätte seyn oder etwas anders als allgemeine Dinge mit ihm sprechen können. Er spricht gern und mit leidenschaftlichen Erinnerungen von Italien; aber was er mir davon erzählt hat, gab mir die treffendste und gegenwärtigste Vorstellung von diesem Lande und diesen Menschen. Vorzüglich weiß er einem anschaulich zu machen, daß diese Nation mehr als alle andre europäische in gegenwärtigen Genüssen lebt, weil die Milde und Fruchtbarkeit des Himmelsstrichs die Bedürfnisse einfacher macht und ihre Erwerbung erleichtert. – Alle ihre Laster und Tugenden sind die natürlichen Folgen einer feurigen Sinnlichkeit. Er eifert sehr gegen die Behauptung, daß in Neapel so viele müßige Menschen seien. Das Kind von 5 Jahren soll dort schon anfangen zu erwerben; aber freilich ist es ihnen weder nöthig noch möglich, ganze Tage, wie wir thun, der Arbeit zu widmen. In Rom ist keine Debauche mit ledigen Frauenzimmern, aber desto hergebrachter mit verheiratheten. Umgekehrt ist es in Neapel. Überhaupt soll man in der Behandlung des andern Geschlechts hier die Annäherung an den Orient sehr stark wahrnehmen. Rom, meint er, müsse sich erst durch einen längeren Aufenthalt den Ausländern empfehlen. In Italien soll sichs nicht theurer und kaum so theuer leben, als in der Schweiz. Die Unsauberkeit sie einem Fremden fast ganz unausstehlich.

Die Angelica Kaufmann rühmt er sehr; sowohl von Seiten ihrer Kunst, als ihres Herzens. Ihre Umstände sollen äußerst glücklich seyn; aber er spricht mit Entzücken von dem edlen Gebrauch, den sie von ihrem Vermögen macht. Bei allem ihrem Wohlstand hat weder ihre Liebe zur Kunst, noch ihr Fleiß nachgelassen. Er scheint sehr in diesem Hause gelebt zu haben, und die Trennung davon mit Wehmuth zu fühlen.

Ich wollte Dir noch mehreres aus seiner Erzählung mittheilen, aber es wird mir erst gelegenheitlich einfallen. Im Ganzen genommen ist meine in der That große Idee von ihm nach dieser persönlichen Bekanntschaft nicht vermindert worden; aber ich zweifle, ob wir einander je sehr nahe rücken werden. Vieles, was mir jetzt noch interessant ist, was ich noch zu wünschen und zu hoffen habe, hat seine Epoche bei ihm durchlebt; er ist mir (an Jahren weniger, als an Lebenserfahrungen und Selbstentwickelung) so weit voraus, daß wir unterwegs nie mehr zusammenkommen werden; und sein ganzes Wesen ist schon von Anfang her anders angelegt, als das meinige, seine Welt ist nicht die meinige, unsere Vorstellungsarten scheinen wesentlich verschieden. Indessen schießt sichs aus einer solchen Zusammenkunft nicht sicher und gründlich. Die Zeit wird das Weitere lehren.

Dieser Tage geht er nach Gotha, kommt aber gegen Ende des Herbstes wieder zurück, um den Winter in Weimar zu bleiben. Er sagt mir, daß er Verschiedenes in den t. Mercur2 geben werde; ob er auf nächste Ostermesse seine Schriften endigen würde, macht er zweifelhaft. Jetzt arbeitet er an Feilung seiner Gedichte.

Meinen Brief wirst Du durch Beckern erhalten haben. Die Nachricht von Deiner Krankheit hat mich erschreckt; aber bei näherer Betrachtung finde ich, daß Dir diese Krisis heilsam seyn kann. Beharre ja auf der Lebensordnung, die Du Dir vorgeschrieben hast: auflösende Seifenmittel, vegetabilische Diät, Beschäftigung des Geistes und Bewegung. Wenn Du in Etwas auf meiner Seite seyn willst, so sei es hier. Dein Zustand ließ mich fürchten, daß eine Gemüthsbewegung daran Antheil habe. Solltest Du wirklich etwas von der Seite gelitten haben und mir ein Geheimniß daraus machen? Ich bitte Dich, antworte mir auf dieses.

Beherzige, wenn Du Dir Lust dazu geben kannst, meine Bitte wegen der Composition der 2 Gedichte, wovon ich Dir im letzten Briefe geschrieben. (Apropos, schlage den August im d. Museum nach, dort findest Du einen Aufsatz von Stolberg gegen meine Götter Griechenlands.) Grüße mir die Weiber recht herzlich. Bald schreibe ich Dir wieder und mehr. Lebe wohl.

Schiller.