Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Lotte v. Lengefeld

[Rudolstadt den 3. Sept. Mittwoch 1788.]

Ihre Billets haben mir einen recht schönen Morgen gemacht. Gestern schlief ich mit der schönen Hoffnung ein, daß ich heute etwas von Ihnen sehen würde, und Sie haben sie mir erfüllt. Daß Sie gestern mit der Botenfrau nicht schrieben, hat uns etwas gewundert, und fast hätt es uns betrübt; aber wir haben es uns erklärt, so gut wir konnten.

Könnte ich doch zur Verschönerung Ihres Lebens etwas thun! Ich glaube, ich würde das meinige dann selbst mehr lieben. Was ist edler und was ist angenehmer, als einer schönen Seele den Genuß ihrer selbst zu geben; und was könnte ich mehr wünschen, als die lieblichen Gestalten Ihres Geistes anzuschauen und immer und immer um mich her zu fühlen! Sie sind nicht allein glücklich, wenn Sie es sind.

So leicht kann ich mich nicht in die Notwendigkeit ergeben, wie Sie, wie es überhaupt Ihr Geschlecht kann. Ich meine immer, ich müsse das Schicksal zwingen, das mich aus Ihrem Zirkel reißen will.

Es freut mich, wenn sie diejenigen Stücke1 von mir, die mir selbst lieb sind, lieb gewinnen, und sich gleichsam zu eigen machen; dadurch werden unsre Seelen immer mehr und mehr an einander gebunden werden.

Ich sehe diese Stücke als die Garants unserer Freundschaft an; es sind abgerissene Stücke meines Wesens, und es ist ein entzückender Gedanke für mich, sie in das Ihrige übergegangen zu sehen, sie in Ihnen wieder anzuschauen und als Blumen, die ich pflanzte, wieder zu erkennen.

Leben Sie recht wohl, bestes L. Ich möchte gar gerne noch viel mit Ihnen reden; aber ich fürchte in einen Text zu gerathen, woraus kein Ausgang ist.

Gestern lasen wir in der Odyssee, und eine Szene aus den Phönicierinnen des Euripides hätte uns bald Tränen gekostet. Kommen Sie doch nicht so gar spät wieder! Adieu! Adieu!

S.