Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Ferdinand Huber

Volksstädt bey Rudolstadt d. 29 Jul. [Dienstag] 1788.

Ich müßte lügen, wenn ich sagte, daß ich mich in Dein langes Stillschweigen so geduldig ergeben hätte. Du hast mir so viel Neues und Wichtiges über Dich zu sagen, auch der Freundschaft hattest Du, wie mir vorkam, einige Schulden zu bezahlen, daß mir das lange Ausbleiben Deines Briefes, selbst bei vorausgesetzter Erkältung zwischen uns, völlig unerklärbar war. Daß Du fleißig nach D.1 und sogar einmal, wie ich aus seinem Briefe erfuhr, an Beck nach Mannheim geschrieben hattest, benahm Dir in meinen Augen auch die lezte leidliche Entschuldigung – Ueberhäuffung von Geschäften. Aber wozu wieder davon anfangen. Es ist abgethan. Ich greife in meinen eigenen Busen. Wie oft habe ich auch die Nachsicht meiner Freunde in diesem Punkte gemisbraucht!

Die Klagen, die Du über Deine Lage führst, beunruhigen mich. Ich gestehe Dir, ich glaubte Dich beßer auf die Umstände vorbereitet, die Du nun vorgefunden hast. Von Deiner bisherigen Unabhängigen und geschäftsfreien Lage war dieser Uebergang freilich etwas zu grell und Deine bisherige angenehme Kopf und Herz mehr labende Beschäftigungen mußten Dich nothwendig für die jetzige Tagelöhnerey verwöhnen, aber Du hast Dir ja selbst, mit einer ziemlich guten Kenntniß des Terreins diese Bahn gewählt, und die Gründe, weßwegen Du sie vorgezogen, sind durch die Erfahrungen, die Du jezt gemacht hast, nichts weniger als widerlegt. Das, was jezt Dich drückt, würde Dir in jedem andern Zustand, mit dem Du den gegenwärtigen allenfalls vertauschen könntest, folgen, und, ohne Dir vielleicht diesen Ersatz dafür zu bieten. Aber sage mir doch, welchen andern könntest oder würdest Du dafür erwählen? Du bist nicht dazu gemacht, Dir Vieles zu versagen, sonst würde ich Dir ohne Bedenken rathen, Dich Deinem eigenen Genius und Fleiß auf Treu und Glauben anzuvertrauen, und, nach unsers Körners Eintheilung, in die Hände des Publikums zu fallen. Mit Deinem Kopfe würden sich tausend andre (und auch ich getraute mirs) unabhängig zu erhalten wißen, aber schwerlich mit Deinem Fleiße und bey Deinen Bedürfnissen. Erinnere Dich an das, was so oft und biß zum Eckel unter uns verhandelt worden ist – an das über alle Maasen jämmerliche Loos, von der Feder zu leben. Wie sehr würde ich mich an Deinem jetzigen Platz wünschen, wenn es überhaupt in meiner Natur läge und in meiner Gewalt stünde, auf eine solche Art brauchbar zu werden; unglücklicher Weise muß ich als Schriftsteller schanzen oder verhungern – aber Lieber, das ist bey Dir der Fall nicht. Du hast bey allen meinen Kräften 4 biß 5 schöne kostbare Jahre voraus, glückliche Concurrenzen und Stützen, die mir mangeln. Wenn ich Dir jemals anders gerathen habe, so sey überzeugt, daß ich damals ein Narr gewesen war. Die Ueberladung von Geschäften, worüber Du Dich jezt beklagst, kann in dieser Proportion wie Du sie angibst, unmöglich fortdauren, und wird der Arbeit auch nicht viel weniger, so rechne, daß Du mit jedem Tage ihr mehr Leichtigkeit und Vortheile abgewinnen wirst und daß die ganze Sache am Ende auf bloße Rutine ankommt. Du selbst sagst, daß es nur die Maschine ist die leidet, aber Lieber, die Maschine gewöhnt sich an vieles. Nur den Muth mußt Du nicht sinken laßen. Du wirst dadurch lernen Deine Zeit eintheilen, und (nimm mirs nicht übel) was Du nie so recht verstanden hast, den Augenblick schätzen.

Oder wäre gerade dieser Gesandtschaftsposten mühseliger und überladener als die andern, weil es ein neuer ist? In diesem Falle, dächt’ ich, könntest Du Dich Stutterheim2 ohne Rückhalt entdecken, und ihn bitten, dich mit einem Andern tauschen zu laßen, der durch eine längere Uebung der Geschäfte mächtiger ist. Da er soviel für Dich gethan, wird er auch das noch für Dich thun; ich sehe nicht, was Dich dieses herabsetzen könnte. Dein Gesandter, Dein Vater können Dich in diesem Gesuch unterstützen. Wenigstens ehe Du Dich von Deinem Verdruße oder Deinem Kleinmuth zu einem äußersten Schritt hinreißen laßest, solltest Du diesen Weg noch versuchen. Diese Stelle in Deinem Brief habe ich überhaupt nicht verstanden. Wie willst Du herausgehen und wo hinein? Noch einmal, lieber, der Himmel behüte Dich vor dem desperaten Einfall, Dich an die Schriftstellergaleere zu schmiden. Daß ich meinen Freund warnen kann, ist der einzige reine Gewinn, den ich von dieser Erfahrung davongetragen habe. Schreibe mir ja über diesen Punkt bald wieder.

Des academischen Freundes3, den Du in Bonn aufgetrieben hast, erinnere ich mich recht gut; aber besonders liirt waren wir niemals. Er machte den Weichling in der Academie und unsre Wege giengen nicht zusammen. Da er aber darinn grau worden ist wie ich, und alle ihre Epochen mit mir hat werden und endigen sehen, so hat uns die Gewohnheit oder die Zeit einander so ans Gedächtniß hingenagelt, daß es für eine expece von Cameradschaft gelten kann. Alle Academische Bekanntschaft und so alte vollends haben ihren Werth bey mir.

Heinses Bekanntschaft mag schon intereßant seyn. Es ist einer von diesen Köpfen, die nichts so merkwürdiges schreiben können als sie selbst sind, und seine Augenblicke vor dem Schreibtisch sind gewiß nicht die schönsten seines Geists. Von dieser Art glaube ich ist auch Göthe (der nunmehr wieder in Weimar taglöhnert. Ich werde ihn vielleicht in einigen Wochen hier in der Gegend sehen).

Dein heimliches Gericht macht viel Glück. Mir sagen es viele auf den Kopf zu, daß es von mir herrühre. In Schubarts deutscher Chronik lese ich dieses sogar mit gar vieler Sagacität als etwas ausgemachtes angegeben. Ich finde hier in Spittlers Geschichte von Hannover (1. Theil) viel reifes über die Westfälischen Gerichte gesagt. Beulwitz, der von Deinem Stück ganz bezaubert ist, hat in allerlei Büchern nachgeschlagen, und in einem sogar dieselben Nahmen4, die in dem Stück vorkommen, unter den Fehmrichtern gefunden. Hast Du sie daraus? Ich merkte mir den Nahmen des Buchs, und nun ist es mir doch entfallen. Willst Du Nachrichten haben so schreibs. Ich will sie Dir ausziehen laßen. Man wünscht sehr die Fortsetzung von Deinem heiml. Gericht. Hast Du es um einige Schritte vorwärts gebracht?

Ich lebe hier ziemlich zufrieden; genieße mich auch zuweilen selbst und habe oft süße Augenblicke durch Gesellschaft. Die Gegend ist überaus schön und reich, mein gewöhnlicher Zirkel in der Stadt ausgesucht und Nahrung für Geist und Empfindung. Ich wohne gut, habe viel Bewegung, bade mich alle Tage, bin gesund und träume mich wie immer in Vergangenheit und Zukunft, indeßen mir oft der beßere Augenblick entschlüpft. Glücklich bin ich freilich nicht und sehe auch sobald nicht ab, es zu werden, aber doch liebe ich noch Daseyn und Leben. Mit meinem Fließ geht es leidlich. Mein Herz ist frey. Viele Plane und wenig That wie immer. Es ließe sich viel davon reden.

Wir waren nicht so recht offen als wir uns in Weimar wiedersahen5 und uns in Gotha trennten. Deine und meine Lage klag ich an, nicht uns. Wir können einander nie verlieren. Das tröstet mich, was auch die Zeit über das Instrument unsrer Freundschaft verhängen mag. Du wirst viele Bekanntschaften machen, gute Menschen finden und auch Freunde gewinnen. Mich wirst Du nach jeder Distraction immer wieder finden und gerade diese Stelle, die Du mir gegeben hast, wird kein andrer Dir ersetzen. Lebe wohl.