Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Christian Schwan

Weimar d. 2. May [Freitag] 88.

Sie entschuldigen Sich wegen Ihres langen Stillschweigens, liebster Freund, um mir diese Entschuldigung zu ersparen. Ich fühle diese Güte und danke ihnen dafür. Sie rechnen dieses Stillschweigen der Freundschaft nicht an, das beweißt, daß Sie beßer, als mein schlimmes Gewissen mich hoffen ließ, in meinem Herzen gelesen haben. Glauben Sie aber auch, liebster Freund, daß Ihr Gedächtniß auch in meinem Gemüth unauslöschlich lebt und nicht nöthig hat durch den Schlendrian des Umgangs durch Versicherungsbriefe, aufgeführt zu werden. Und also nichts mehr davon.

Die Ruhe und Leichtigkeit Ihrer Existenz die aus ihrem Briefe athmet, hat mir sehr viel Freude gegeben, und ich, der noch im ungewissen Meere zwischen Wind und Wellen, herumgetrieben wird, beneide Ihnen diese Gleichförmigkeit, diese Gesundheit des Leibes und der Seele. Mir wird sie erst später als eine Belohnung für noch zu überstehende Arbeit zu Theil werden.

Ich bin nun fast ¾ Jahre hier; nach Vollendung meines Carlos habe ich endlich diese längst projectierte Reise ausführen können. Wenn ich aufrichtig seyn soll, so kann ich nicht anders sagen, als daß es mir hier ungemein wohl gefällt, und der Grund davon ist leicht einzusehen. Die möglichste bürgerliche Unangefochtenheit und Freiheit, eine leidliche Menschenart, wenig Zwang im Umgang, ein ausgesuchter Zirkel intereßanter Menschen und denkender Köpfe, die Achtung die auf Litterarische Thätigkeit gelegt wird; rechnen Sie dazu noch den wenigen Aufwand den ich an einem Ort wie Weimar zu machen habe – warum sollte ich nicht zufrieden seyn? Mit Wieland bin ich ziemlich genau verbunden, und ihm gebührt ein großer Antheil an meiner jetzigen Behaglichkeit, weil ich ihn liebe, und Ursache habe zu glauben, dass er mich wiederum lieb hat. Wenigeren Umgang habe ich mit Herdern, ob ich ihn gleich als Menschen wie als Schriftsteller hochverehre. Der Eigensinn des Zufalls hat eigentlich die Schuld, denn wir haben unsere Bekanntschaft ziemlich glücklich eröfnet. Auch fehlt es mir an Zeit, immer nach meiner Neigung zu handeln. Mit Boden kann man nicht genau Freund seyn. Ich weiss nicht ob Sie hierinn denken wie ich. Göthe wird erst aus Italien erwartet. Die verwitwete Herzoginn ist eine Dame von Sinn und Geist, in deren Gesellschaft man nicht gedrückt ist. Den Herzog sieht man jezt selten im Weimar.

Ich danke Ihnen für die Nachrichten, die Sie mir von dem Schicksal des Karlos auf Ihrer Bühne gegeben haben. Aufrichtig zu sprechen, große Erwartungen habe ich mir überhaupt von keiner Vorstellung des Karlos gemacht und ich weiß auch warum? Also hätte sich auch Herr von Dalberg die Mühe ersparen können, mir – sein Exercitium von Critik aufzusagen, warum das Stück die erwartete Wirkung nicht that. Warum es diese Wirkung nicht thun konnte wußte ich ehe er den Carlos zu Gesicht bekam. Es ist nicht mehr als billig, dass sich die Theatralische Göttin für die wenige Galanterie die mich, beim Schreiben, für Sie beseelte, an mir gerächt hat. Indessen, wenn mein Carlos auch ein noch so verfehltes Theaterstück ist, so halte ich doch dafür, daß unser Publicum ihn noch zehenmahl wird aufführen sehen können, ehe es das Gute begriffen und ausgeschöpft hat, was seine Fehler aufwägen soll. Ich glaube, erst alsdann, wenn man das Gute eines Dinges eingesehen hat, ist man berechtigt, das Urtheil über das Schlimme zu sprechen. Oder glauben Sie nicht auch? Indessen höre ich, daß die zweyte Vorstellung besser ausgefallen sey als die erste. Entweder kommt das von den Veränderungen, die Dalberg in dem Stücke gemacht hat – oder es kommt daher, daß das Publikum beim zweytenmal Dinge verstehen lernte, die es bei der ersten Vorstellung – nicht verstand.

Uebrigens kann niemand mehr überzeugt seyn als ich, daß der Carlos, aus Ursachen sowohl, die ihm Ehre als die ihm Unehre bringen, keine Speculation für die Schaubühne ist. Schon allein seine Länge könnte ihn davon verbannen. Ich habe ihn wahrlich auch nicht aus Zuversichtlichkeit oder Eigenliebe auf die Bühne genöthigt; aus Eigennutz vielleicht eher, denn wer hätte die 3 oder 400 Thaler von der Hand weisen wollen, die er mir ohngefähr von dieser Seite her eingebracht haben mag, ich frage wer hätte dieses wohl gethan, um – dem guten Geschmack ein Opfer zu bringen? Wenn bei dieser ganzen Sache meine Eitelkeit eine Rolle spielte, so war es darinn, dass ich dem Stücke innern Gehalt genug zutraute, um sein schlechtes Glück auf den Bühnen niederzuwägen.

Für Bingners1 Aufsatz danke ich Ihnen. Er hat Gehalt, der Inhalt interessiert mich und wenn es ihnen recht und lieb ist so will ich ihn in das VIte Heft der Thalia setzen. Mit dem Geschenk Ihres Bildes haben Sie mir eine große Freude gemacht. Ich finde es treffend ähnlich, Schubarten etwas weniger, wiewohl dieses sowohl an meinem schlechten Gedächtniß, als an der Lobauerischen Zeichnung liegen kann. Der Kupferstecher verdient Aufmerksamkeit und alle Aufmunterung, und was ich zur Ausbreitung seines Verdienstes beytragen kann, soll redlich geschehen.

Ihre lieben Kinder grüßen Sie von meinetwegen recht sehr. Im Wielandischen Hause wird mir noch oft und viel von Ihrer ältesten Tochter erzählt; sie hat sich da in wenigen Tagen sehr lieb und werth gemacht. Also stehe ich doch noch bei ihnen in einigem Andenken? In der That ich muß erröthen, daß ich es durch mein langes Stillschweigen so wenig verdiene.

Dass Sie in mein liebes Vaterland reisen und dort meinen Vater nicht vorbeygehen wollen, war mir eine sehr willkommene Nachricht. Die Schwaben sind ein liebes Volk, das erfahr ich jemehr und jemehr, seitdem ich andre Provinzen Deutschlands kennen lernte. Meiner Familie werden Sie sehr werth und willkommen seyn. Wollen Sie Sich mit einem Pack Complimente von mir dahin beladen? Küßen Sie meinen Vater von mir und ihre Tochter soll meiner Mutter und Schwestern meinen Kuß bringen.

Leben Sie wohl liebster Freund und fahren Sie fort wie bisher mich in einem feinen und redlichen Herzen zu bewahren. Ihr

Schiller.

Noch eins. H. Götz wird mich bey Ihnen verklagen, wo er es nicht schon gethan. Aber ich kann ihm nicht helfen und ich glaube, dass auf meiner Seite die Billigkeit ist.