Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Ferdinand Huber

Dresden d. 13. Sept. [Dienstag] 85.

Ich weiß zwar noch nicht, mein lieber, ob dieser Brief heute wird abgehen können, daß Du ihn morgen Abend in Händen hast, indessen will ich doch den Fall sezen, und Deinen Geburtstag1 darinn ignorieren. Es ist der erste Brief, der von Dresden handelt, und er verdient also mit jedem andern Inhalt verschont zu bleiben.

Was bisher meine heißesten Wünsche erzielten, hab ich nun endlich erlangt. Ich bin hier, im Schooße unserer lieben, aufgehoben wie im Himmel. Ich würde es wagen, Dich in das Innre meiner Seele hineinzuführen, und Dir die Geschichte meines Herzens von gestern an zu beschreiben, wenn ich Dich solange könnte vergessen machen, daß ich Dichter bin. Laß Dirs also mit troknen Worten mahlen: Mir ist wohl, und in der jezigen Fassung meines Gemüths kenne ich keine andere Besorgniß mehr, als die Furcht vor dem allgemeinen Loos der zerstörenden Zeit. Erblike in mir Dein eigenes Schiksal. Wie mir jezt ist wird Dir in wenigen Wochen auch seyn – Betrachte mich also als den

– – „selgen Spiegel Deiner Seligkeit“.

Ich schreibe Dir auf meinem Zimmerchen im Weinberg, über mir höre ich unsre lieben Weiberchens herum kramen in häußlichen Geschäften, und mitunter auf dem Klavier klimpern. Wie viel Stimmung gibt mir das zu einer Unterhaltung mit Dir!

Unsere Hieherreise war wirklich sehr angenehm, schade nur, daß der Abend und die Nacht uns beim Eintritt in die schönre Landschaften überfielen. Mit dem andächtigen Schauer eines Wallfahrers grüßte ich die merkwürdigen Pläzchen wieder, die sich meinem Herzen unter der neulichen Reise vorzüglich ausgezeichnet hatten, als zum Beispiel die AbschiedsStelle zwischen Strauchiz3 und Hubertsburg. Als auf einmal, und mir zum erstenmal, die Elbe zwischen 2 Bergen heraus trat, schrie ich laut auf. O mein Liebster Freund, wie interessant war mir alles! Die Elbe bildet eine romantische Natur um sich her, und eine schwesterliche Ähnlichkeit dieser Gegend mit dem Tummelplaz meiner frühen dichterischen Kindheit macht mir sie dreifach theuer. Meißen, Dresden und seine Gegenden gleichen ganz in die Familie meiner vaterländischen Fluren.

Zwölf Uhr in der Nacht war es als wir über die Brüke fuhren. Ich sah hinter mir in der Neustatt in der Gegend worinn ich Körners Hauß vermuthete einige Häußer erleuchtet, und mein Herz wollte mich bereden, daß Körners darunter war. Im goldnen Engel traten wir ab, und den andern Morgen schikt ich in die Neustatt, mich nach Körners Auffenthalt zu erkundigen, weil ich vermuthete daß er im Weinberge wäre, und unsern Bedienten kommen zu lassen. Der Bediente brachte mir Grüße von den Weibern, Körner war noch biss 1 im Collegium. Ich ließ mich in einer porteChaise hintragen, weil es ganz entsezlich regnete, und die Freude unseres Wiedersehens – und eines solchen Wiedersehens – war himmlisch.

Körner wohnt äuserst niedlich und bequem. Die Zimmer sind freilich etwas niedrig, aber alles was ihnen abgeht wird durch das schöne ameublement ersezt, und die Aussicht über die Elbe ist über alle Beschreibungen schön.

Minna und Dorchen sind heiter und beide gesund. Körner ist ganz glüklich, wie Du wol denken kannst. Unter dem Mittagessen ist fleißig an den 5ten gedacht worden, und in gutem Rheinwein wurde Deine Gesundheit getrunken. Alles alles war mir süß, weil ich mich endlich zu Hauße fühlte. Nach dem Caffe versuchte Körner etwas auf der Harmonika – lieber Huber die Wirkung dieses Instruments kann in gewissen Situationen mächtig werden. Ich verspreche mir hohe Jnspirationen von ihr.

Abends gegen 5 fuhren wir nach dem Weinberge, unterwegs fand ich die himmlischste Gegend. Er ligt eine Stunde vor der Stadt, ist beträchtlich, und hat Terrain genug, Körners Erfindungsgeist zu allerlei Jdeen zu verführen. Am Fuße des Berges ligt das Wohnhauß, welches weit geräumiger ist als das Endnerische zu Gohlis. Am Hauß ist ein niedlicher kleiner Garten, und oben auf der Höhe des Weinbergs steht noch ein artiges Gartenhäußgen4. Die Aussicht von diesem und der Untergang der Sonne soll ganz zum Entzüken seyn. Alles hier herum wimmelt von Weinbergen, Landhäußchen und Gütern.

Der gestrige Abend hier auf dem Weinberge war mir ein Vorschmak von allen folgenden. Während daß Dorchen und Minna auspakten und im Hauße sich beschäftigten hatten Körner und ich philosophische Gespräche. Jezt wird er anfangen thätig zu werden. O liebster Freund das sollen göttliche Tage werden.

Diese Nacht habe ich zum erstenmal unter einem Dache mit unsern Lieben geschlafen. Minna ist ein so liebes Hausweibchen. Sie haben mich gestern Nacht in procession auf mein Zimmer gebracht, wo ich alles zu meiner Bequemlichkeit schon bereitet fand. Heute beim Erwachen hörte ich über mir auf dem Claviere spielen, Du glaubst nicht, wie mich das belebte.

Eben sind sie aus meinem Zimmer gegangen, um mich diesen Brief an Dich schreiben zu lassen. Er ist fertig und Du hast die kurze Geschichte meines Hierseins biß auf den Augenblik wo ich mich unterschreibe als Deinen glüklichen Freund

Schiller.