Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Heribert von Dalberg

Mannheim, d. 24. August [Dienstag] 1784.

Ich schreibe Euer Exzellenz dißmal auf gut Glük, denn ich habe vergessen, mir den Ort Ihres gegenwärtigen Aufenthaltes bestimmen zu lassen, und bin also ungewiß, ob dieser Brief biß zu Ihnen gelangen wird. Aber ich fühle ein Bedürfniß, endlich einmal wieder über Kunst und Litteratur zu reden, und mit wem kann ich das besser, als mit Ihnen. Ihre Abwesenheit von Mannheim hat meinem Genius längst einen leidigen Zwang aufferlegt, und ich verwünsche den Sommer, der Sie aus meiner Sphäre gezogen hat. Auch der feurigsten Phantasie und der thätigsten Schöpffungskraft ist eine elastische Feder nöthig, die sie in Schwung bringen und erhalten muß, und die Maschine wird noch erwartet, die sich ewig fort selbst treibt, ohne aufgezogen zu werden. Mit Vergnügen sehe ich die Blätter fallen und die Vorboten des Herbstes allmählich erscheinen – denn das gibt mir Hoffnung, daß Sie bald wieder hier bleiben werden.

Ich habe gegenwärtig meine Zeit zwischen eigenen Arbeiten und französischer lecture getheilt. Warum ich das leztere thue, werden E. E. gewiß billigen. Fürs Erste erweitert es überhaupt meine dramatische Kenntniß und bereichert meine Phantasie, fürs andere hoffe ich dadurch zwischen zwei Extremen, Englischem und Französischem Geschmak in ein heilsames Gleichgewicht zu kommen. Auch nähre ich insgeheim eine kleine Hoffnung, der teutschen Bühne mit der Zeit durch Versezung der klassischen Stüke Corneilles, Racines, Crebillons und Voltaires auf unsern Boden eine wichtige Eroberung zu verschaffen.

Carlos ist ein herrliches Sujet, vorzüglich für mich. Vier große Karaktere, beinahe von gleichem Umfang, Karlos, Philipp, die Königin und Alba öffnen mir ein unendliches Feld. Ich kann mir es jezt nicht vergeben, dass ich so eigensinnig, vielleicht auch so eitel war, um in einer entgegensezten Sphäre zu glänzen, meine Phantasie in die Schranken des bürgerlichen Kothurns einzäunen zu wollen, da die hohe Tragödie ein so fruchtbares Feld, und für mich, möcht ich sagen, da ist; da ich in diesem Fache größer und glänzender erscheinen, und mehr Dank und Erstaunen wirken kann, als ich keinem andern, da ich hier vielleicht nicht erreicht, im andern übertroffen werden könnte; froh bin ich, daß ich nunmehr so ziemlich Meister über den Jamben bin; Es kann nicht fehlen, daß der Vers meinem Carlos sehr viel Würde und Glanz geben wird.

Auf diesen Winter freue ich mich. Ich bin ganz wieder in Thätigkeit, und glaube gewiß, daß ich in dieser Zeit hereinbringen werde, was mich meine, beinahe jahrlange Unpäßlichkeit, die meinen ganzen Kopf verwüstete, hat versäumen machen. Durch mich allein wird und muß unser Theater einen Zuwachs an vielen vortreflichen neuen Stükken bekommen, worunter Makbeth und Timon, und einige französische1 sind. nach dem Karlos gehe ich an den 2ten Theil der Räuber2, welcher eine völlige Apologie des Verfassers über den ersten Theil seyn soll, und worinn alle Jmmoralität in die erhabenste Moral sich auflösen muß. Auch dieses ist unermeßliches Feld für mich. – Eure Exzellenz haben ganz recht gehabt, wenn Sie in meine Planschmiederei ein Mißtrauen zu sezen anfiengen, aber wenn Sie abrechnen, wie oft und viel, Kränklichkeit und üble Laune gegen meinen besten Willen gestritten haben, so werden Sie mir wenigstens zugeben, daß dergleichen leere Entwürfe nicht aus dem Wesentlichen meines Karakters fließen.

Ueber meinen Entschluß, Mediciner zu werden, und meinen dahin einschlagenden Plan muß ich mündlich mit EE. reden, denn in einem Brief kann ich das nicht erschöpfen. So viel kann ich Euer Exzellenz indessen versichern, daß der Entschluß fest ist, und daß ich schon zu dem Ende gehandelt habe.

Frau v. Kalb, die nunmehr hier wohnt, wünscht nichts mehr, als Ihre und der Frau v. Dalberg Bekanntschaft zu machen. Ich bin überzeugt, daß Sie eine vortrefliche Person in ihr finden werden, die, ohne aus ihrem Geschlecht zu treten, sich glänzend davon auszeichnet. Iflands Lear bewundert sie feurig, und eben das sprechen auch die besten der Stadt.

Horazens Briefe von Wieland habe ich ganz und mit wahrem Vergnügen gelesen. Welche helle und reine Philosophie, in die feinste Sprache und die wizigste, delikateste Satyre gekleidet! Die Übersezung ist ganz vortreflich, und, was nicht wenig ist, teutsch, wie eine nationelle Schrift. Ich freue mich auf die übrigen Bände.

Von den Vorstellungen dieser Woche wüßte ich wenig zu sagen. Zwischen zwei Vorstellungen dieser Woche wüßte ich wenig zu sagen. Zwischen zwei Vorstellungen des Lears kann man mit Hausmannskost vorlieb nehmen.

Mit größter Ungeduld erwarte ich E. E. auf den versprochenen Sontag, und nenne mich mit vollkommenster Hochachtung

      Ihren

unterthänigen

F. Schiller.

[Adresse:]
                          Sr. Exzellenz
                dem Freiherrn v. Dalberg
            Hofkammer Vice Praesidenten
  Sr. kurfürstl. Durchlaucht in der Pfalz u. s. f.
                                            Zu Hernsheim.
      mit Gelegenheit.