Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Wilhelm Reinwald

Bauerbach. Früh in der Gartenhütte.
Am 14. April [Montag] 83.

In diesem herrlichen Hauche des Morgens denk ich Sie Freund – und meinen Karlos. Meine Seele fängt die Natur in einem entwölkten blankeren Spiegel auf, und ich glaube, meine Gedanken sind wahr. Prüfen Sie solche. – Ich stelle mir vor – Jede Dichtung ist nichts anderes, als eine enthousiastische Freundschaft oder platonische Liebe zu einem Geschöpf unsers Kopfes. Ich will mich erklären.

Wir schaffen uns einen Karakter, wenn wir unsre Empfindungen, und unsre historische Kenntniß von fremden, in andere Mischungen bringen – bei den Guten das Plus oder Licht – bei Schlimmere das Minus oder den Schatten vorwalten laßen. Gleichwie aus einem einfachen weisen Stral, je nachdem er auf Flächen fällt, tausend und wieder tausend Farben entstehen, so bin ich zu glauben geneigt daß in unsrer Seele alle Karaktere nach ihren Urstoffen schlafen, und durch Wirklichkeit und Natur oder künstliche Täuschung ein daurendes oder nur illusorisch – und augenblikliches Daseyn gewinnen. Alle Geburten unsrer Phantasie wären also zuletzt nur Wir selbst. Aber was ist Freundschaft oder platonische Liebe denn anders, als eine wollüstige Verwechslung der Wesen? Oder die Anschauung unserer Selbst in einem andern Glase? –

Liebe, mein Freund, das grose unfehlbare Land der empfindenden Schöpfung ist zulezt nur ein glücklicher Betrug. Erschreken, entglühen, zerschmelzen wir für das Fremde, uns ewig nie eigen werdende Geschöpf? Gewis nicht. Wir leiden jenes alles nur für uns, für das Ich, deßen Spiegel jenes Geschöpf ist. Ich nehme selbst Gott nicht aus. Gott, wie ich mir denke, liebt den Seraph so wenig als den Wurm der ihn unwißend lobet. Er erblickt sich, sein groses unendliches Selbst, in der unendlichen Natur umhergestreut. – In der allgemeinen Summe der Kräfte berechnet er augenbliklich Sich selbst – Sein Bild sieht er aus der ganzen Oekonomie des Erschaffenen vollständig, wie aus einem Spiegel, zurükgeworfen, und liebt Sich in dem Abriß, das Bezeichnete in dem Zeichen. Wiederum findet er in jedem einzelnen Geschöpf (mehr oder weniger) Trümmer seines Wesens zerstreut. Dieses bildlich auszudrüken – So wie eine Leibnizische Seele vielleicht eine Linie von der Gottheit hat, so hat die Seele der Mimosa nur einen einfachen Punkt, das Vermögen zu empfinden von ihr, und der höchste denkende Geist nach Gott – doch Sie verstehen mich ja schon. Nach dieser Darstellung komme ich auf einen reinern Begriff der Liebe. Gleichwie keine Vollkommenheit einzeln existieren kann, sondern nur diesen Namen in einer gewisen Relation auf einen allgemeinen Zwek verdient, so kann keine denkende Seele sich ins ich selbst zurükziehen und mit sich begnügen. Ein ewiges nothwendiges Bestreben, zu diesem Winkel den Bogen zu finden, den Bogen in einen Zirkel auszuführen, hieße nichts anders, als die zerstreute Züge der Schönheit, die Glieder der Vollkommenheit in einen ganzen Leib aufzusammeln – das heißt mit andern Worten: Der ewige innere Hang, in das Nebengeschöpf überzugehen, oder daßelbe in sich hineinzuschlingen, es anzureißen ist Liebe. Und sind nicht alle Erscheinungen der Freundschaft und Liebe – vom sanften Händedruk und Kuß bis zur innigsten Umarmung, – so viele Äußerungen eines zur Vermischung strebenden Wesens?

Izt wär ich auf dem Punkt, zu dem ich durch eine Krümmung gehen mußte. Wenn Freundschaft und platonische Liebe nur eine Verwechslung eines fremden Wesens mit dem unsrigen, nur eine heftige Begehrung seiner Eigenschaften sind, so sind beide gewisermasen nur eine andre Wirkung der Dichtungskraft – oder beßer: Das was wir für einen Freund und was wir für einen Helden unsrer Dichtung empfinden ist eben das. In beiden Fällen führen wir uns durch neue Lagen und Bahnen, wir brechen uns auf anderen Flächen, wir sehen uns unter andern Farben, wir leiden für uns unter andern Leibern. Können wir den Zustand eines Freunds feurig fühlen, so werden wir uns auch für unsere poëtische Helden erwärmen. Aber die Folgerung, daß die Fähigkeit zur Freundschaft und platonischen Liebe sonach auch die Fähigkeit zur grosen Dichtung nach sich ziehen müße, würde sehr übereilt seyn. – Denn ich kann einen grosen Karakter durchaus fühlen, ohne ihn schaffen zu können. Das aber wäre bewiesen wahr, daß ein groser Dichter wenigstens die Kraft zur höchsten Freundschaft besizen mus, wenn er sie auch nicht immer geäusert hat. – Das ist unstreitig wahr, daß wir die Freunde unserer Helden seyn müßen, wenn wir in ihnen zittern, aufwallen, weinen und verzweifeln sollen – daß wir sie als Menschen außer uns denken müßen, die uns ihre geheimsten Gefüle vertrauen, und ihre Leiden und Freuden in unsern Busen ausschütten. Unsere Empfindung ist also Refraktion, keine ursprüngliche sondern sympathetische Empfindung. Dann rühren und erschüttern und entflammen wir Dichter am meisten, wenn wir selbst Furcht und Mitleid für unsern Helden gefült haben. Ein groser Philosoph, der mir nicht gleich beifallen will, hat gesagt, daß die Sympathie am gewisesten und stärksten durch Sympathie erwekt werde. Izt denke ich diesen Satz in seiner ganzen Deutlichkeit. Der Dichter mus weniger der Mahler seines Helden – er mus mehr deßen Mädchen, deßen Busenfreund seyn. Der Antheil des Liebenden fängt tausend feine Nüancen mehr, als der scharfsichtigste Beobachter auf. Welchen wir lieben, deßen Gutes und Schlimmes, Glük und Unglük genießen wir in gröseren Dosen, als welchen wir nicht so lieben und noch so gut kennen. Darum rührte mich Julius von Tarent mehr als Leßings Ämilia, wenn gleich Leßing unendlich beßer als Leisewiz beobachtet. Er war der Aufseher seiner Helden, aber Leisewiz war ihr Freund. Der Dichter mus, wenn ich so sagen darf, sein eigener Leser, und wenn er ein theatralischer ist, sein eigenes Parterre und Publikum seyn. – –

Ich habe Ihnen hier vieles, und, wie ich beim durchlesen finde, mit zu wenig Worten gesagt. Vielleicht führe ich solches ein andermal aus.

Nun eine kleine Anwendung auf meinen Karlos. Ich mus Ihnen gestehen, daß ich ihn gewisermaßen statt meines Mädchens habe. Ich trage ihn auf meinem Busen – ich schwärme mit ihm durch die Gegend um – um Bauerbach herum. Wenn er einst fertig ist, so werden Sie mich und Leisewiz an Don Karlos und Julius abmeßen – Nicht nach der Gröse des Pinsels – sondern nach dem Feuer der Farben – nicht nach der Stärke auf dem Instrument – sondern nach dem Ton, in welchem wir spielen. Karlos hat, wenn ich mich des Maases bedienen darf, von Shakespears Hamlet die Seele – Blut und Nerven von Leisewiz Julius, Und den Puls von mir. – Außerdem will ich es mir in diesem Schauspiel zur Pflicht machen in Darstellung der Inquisition die prostituirte Menschheit zu rächen, und ihre Schandfleken fürchterlich an den Pranger zu stellen. Ich will – und sollte mein Karlos dadurch auch für das Theater verloren gehen – einer Menschenart, welche der Dolch der Tragödie biß jezt nur gestreift hat, auf die Seele stoßen. Ich will – Gott bewahre, daß Sie mich nicht auslachen. – –

Ihr lezter Brief, mein Bester hat Ihnen in meinem Herzen ein unvergeßliches Denkmal gesezt. Sie sind der edle Mann, der mir so lange gefehlt hat, der es werth ist, daß er mich mit samt allen meinen Schwächen und zertrümmerten Tugenden besize, denn er wird jene dulden, und diese mit einer Träne ehren. Theurer Freund! Ich bin nicht, was ich gewis hätte werden können. Ich hätte vielleicht gros werden können, aber das Schiksal stritte zu früh wider mich. Lieben und schäzen Sie mich wegen dem, was ich untern beßern Sternen geworden wäre, und ehren Sie die Absicht in mir die die Vorsicht in mir verfehlt hat. Aber bleiben Sie Mein!

S.